I Think You Should Kiss Me – Leseprobe

Sunshine Pier 2: I Think You Should Kiss Me

Kapitel 1

Daisy hatte in ihrem Leben schon mehr als dreitausend unterschiedliche Messer benutzt – aber bisher noch keins in einen Autoreifen gerammt.

Ein großes Versäumnis ihrerseits, wie sie feststellte. Möglicherweise hatte sie das Küchenutensil all die Jahre falsch verwendet. Eine Torte anzuschneiden, an der sie drei Tage lang gearbeitet hatte, befriedigte sie nur halb so sehr, wie den schweren Gummireifen dieses Lamborghinis zu Tartar zu verarbeiten. Zum Glück hatte sie das Konditorenmesser liegen lassen und sich für ein Steakmesser entschieden, die abgerundete Spitze hätte nur zu einer Menge Frustration auf ihrer und verlängertem Leid auf der Seite des Reifens geführt.

Klar, sie war fuchsteufelswild und wusste nicht, ob sie in diesem Leben über ihre eigene Kurzsichtigkeit und Dämlichkeit hinwegkommen würde, aber grundsätzlich hatte sie nichts gegen Autos! Was Verkehrsmittel anging, belegten sie einen soliden dritten Platz hinter Helikoptern (das gleichmäßige Rattern des Rotors beruhigte sie) und Gokarts (reine Sentimentalität ihrerseits, weil sie den letzten gemeinsamen Tag mit ihrer Mutter in einem verbracht hatte).

Letztendlich hatte der Lamborghini jedoch nichts falsch gemacht, außer einen beschissenen Besitzer zu haben, der den Wagen laut eigenen Worten mehr liebte als seine Mutter.

Daisy richtete sich auf, ignorierte das klingelnde Handy in ihrer Handtasche – sicherlich wieder ihre Agentin, die sie anschreien wollte – und strich sich das Blut und den Sand von den juckenden Schienbeinen. Dann legte sie die Spitze des Messers direkt unter den Seitenspiegel in den glänzenden roten Lack des Wagens … und zog sie genüsslich die gesamte Seite bis zum Heck entlang. Das grelle Quietschen und Kratzen von Metall auf Metall ging ihr durch Mark und Bein und erinnerte sie zufriedenstellend an Joes hohen Schrei, als sie sich mit einer Torte in den Armen auf ihn gestürzt hatte. Wenn sie könnte, würde sie den Ton nie wieder vergessen … Ach, sie würde es nicht müssen! Genug umherstehende Gaffer inklusive Papparazzi hatten das Ganze gefilmt und luden es höchstwahrscheinlich jetzt gerade auf TikTok, Instagram und YouTube hoch. Sie könnte sich das Ende ihrer Karriere also immer und immer wieder ansehen.

Sie biss die Zähne zusammen, froh darum, dass ihr Zorn die Panik in ihrem Magen überdeckte. Sobald die Angst siegte, musste sie sich mit den Konsequenzen ihrer letzten drei Entscheidungen dieses Abends beschäftigen und das würde so viel weniger Spaß machen, als einen Mittelfinger in Joes geliebten Lambo zu ritzen, den er sich selbst zu seinem letzten People’s Choice Award für den beliebtesten Filmschauspieler geschenkt hatte.

Scheiße, es würde Daisys Situation um einiges erleichtern, wenn er nicht so ein brillanter, charmanter Schauspieler wäre. Doch Joe war beliebter als ein Snackshop bei einer Gruppe Kiffern und das würde ihr zum Verhängnis werden.

»Fuck!«, rief Daisy so laut, dass die nach Urin stinkende Tiefgarage das Wort hundertfach wiederholte. Als wolle sie betonen, wie tief sie in der Scheiße steckte.

Sie hätte Joe unter vier Augen zur Rede stellen sollen. Sie hätte die Torte nicht nach ihm werfen sollen. Sie hätte definitiv nicht handgreiflich werden dürfen. Gewalt – außer die gegen Autos jetzt – war nie eine Lösung!

Aber dieser miese, verlogene Penner hatte sie so wütend gemacht, dass sie keinen klaren Gedanken mehr hatte fassen können, und außerdem war sie gestolpert! Sie hatte ihn nicht tackeln wollen, doch sie hatte noch nie in hohen Schuhen laufen können und die tödlichen Stilettos nur Joe zuliebe angezogen, da ihr werter Fake-Freund sich darüber beschwert hatte, dass sie sich bei Auftritten in der Öffentlichkeit zu wenig Mühe mit ihrem Äußeren gab und …

Gott, sie hatte sich in ihrem Leben noch nicht so dumm gefühlt wie an diesem Abend!

Nicht, als ihre Sexualkunde-Lehrerin ihr erklärt hatte, dass sie gerade ein Kondom aufpustete, keinen Ballon. Nicht, als ihr Vater ihr gesagt hatte, dass sie sich lieber aufs Kuchenbacken anstatt aufs Kuchenessen konzentrieren sollte. Nicht, als sie bei ihrem ersten Live-Fernsehauftritt laut geflucht hatte, als ihr Himbeeren in den Ausschnitt gefallen waren und ungünstige Flecken an fragwürdigen Stellen hinterlassen hatten. Und selbst dann nicht, als der sexistische Interviewer des Forbes Magazins ihr verklickert hatte, dass sie den Erfolg und Reichtum ihren großen Brüsten und nicht etwa ihrem Talent oder ihrer harten Arbeit zu verdanken hätte.

Schlechtester. Geburtstag. Ever.

Da hatte sie heute schon ihre eigene Torte backen müssen – ja, sie war berühmte Konditorin, aber hätte Joe mit seinem Vermögen von knapp 30 Millionen Dollar ihr nicht trotzdem eine schenken können? –, nur um sie dann nicht einmal essen zu dürfen?

Sie hätte die Beziehung schon vor Monaten beenden sollen, aber laut Vertrag hatte sie noch die Dreharbeiten der neusten Staffel Baking with the Stars durchhalten müssen und ihre Karriere ging immer vor, also …

»Scheiße«, fluchte sie. »Verdammte Scheiße.«

Sie hatte den Vertrag gebrochen und das würde teuer werden. Wieder einmal war sie das Problem, nicht die Lösung. Man sollte meinen, sie hätte sich daran gewöhnt.

Wütend sank sie auf die aufgeschürften Knie, ignorierte den scharfen Schmerz und stach mit dem Messer auf Reifen Nummer zwei ein. Die Leute hatten recht: Mit dreißig ging es nur noch bergab und …

Ein greller Scheinwerfer leuchtete auf, als ein Auto in die Tiefgarage fuhr, und erschrocken hielt Daisy mitten in der Bewegung inne. Der schwarze BMW rollte langsam in ihre Richtung, bevor er direkt neben ihr in die Parkbox bog, die ein Schild an der Wand als Privatparkplatz Anwaltskanzlei O’Leary & Stone auswies.

Oh nein.

Sie konnte ihren aggressiven Umgang mit dem roten Lamborghini zwar vor sich selbst rechtfertigen, aber eventuell würde ein Fremder ihr nicht das gleiche Verständnis entgegenbringen. Allem voran ein regelverliebter Anwalt!

»Scheiße, scheiße, scheiße!«, stieß sie aus und versuchte, das Messer aus dem Reifen zu ziehen – doch das Gummi hielt es fest, als hätten sie plötzlich eine enge Freundschaft miteinander geschlossen. »Scheiße!«, wiederholte sie.

Joe hätte ihr jetzt gesagt, dass sie in der Öffentlichkeit nicht fluchen und sich verdammt noch mal aufrichten solle, da ihre Hüfte, ihr Hintern und ihre Oberschenkel bewiesen, dass sie beruflich backte (sowie aß), und diese kniende Position am Boden nicht schmeichelhaft für ihre Figur war. Aber eine Tiefgarage zählte ihrer Meinung nach nicht zur Öffentlichkeit und … ach ja, Joe war ein betrügerisches Arschloch.

Die Wut in ihren Adern brachte ihr Blut zum Kochen, bis ihr schlichtweg egal war, dass sich die Fahrertür des BMWs direkt neben ihr öffnete und ein großgewachsener Mann ausstieg.

Was sollte es?

Als könnte diese Nacht noch schlimmer werden!

Was tat dann eine kleine Anzeige wegen Vandalismus noch zur Sache?

Okay, sie wollte keine haben! Sie wollte die Nacht ebenso wenig im Gefängnis verbringen, wie dass neben den schrecklichen Bildern und Videos der letzten Stunden auch noch Fahndungsfotos von ihr im Internet kursierten.

Aber vielleicht ignorierte der Kerl sie ja auch einfach. Das fände sie sehr freundlich von ihm. Es war ohnehin mehr als unhöflich, genau jetzt hier aufzutauchen, Daisy blieb bei ihren Nervenzusammenbrüchen lieber unbeobachtet. Die hatte sie generell selten. Selbst als zwölfjähriges Mädchen bei der Beerdigung ihrer Mutter waren ihre Wangen so trocken gewesen wie der billige Wein, mit dem sich die wenigen Gäste auf der Trauerfeier betrunken hatten. Ihre Mom hatte sie darum gebeten, stark zu sein, und bis heute hielt Daisy ihr Versprechen. Auch wenn manche Tage eine größere Herausforderung darstellten als andere und sie auf das neue Publikum, das sie mit intensivem Blick aus unendlich dunklen Augen musterte, hätte verzichten können. Obwohl der Mann, der jetzt seelenruhig die Tür hinter sich schloss und sich mit verschränkten Armen dagegenlehnte, definitiv eine bessere Alternative abgab als weitere Paparazzi. Wenn auch nicht um viel.

»Hallo«, sagte der Fremde schlicht und überkreuzte die Füße an den Knöcheln. Seine Haut war hell, doch seine Stimme dunkel und weich, ebenso wie das Hemd, das sich über seine muskulösen Schultern spannte. Er könnte direkt dem Katalog Zu enge Shirts und Muskeln im Ausverkauf! entsprungen sein.

Klasse, musste er auch noch gut aussehen? Hatte das Universum ihr am Tiefpunkt ihres Lebens keinen hässlichen alten Greis mit schlechten Augen schicken können?

Glücklicherweise war sie gutaussehende Männer mittlerweile gewöhnt und von ihren dunkelblonden Haaren, breiten Schultern und zu kantigen Kiefern längst nicht mehr so eingeschüchtert wie zu Anfang ihrer Karriere.

Sie war schließlich zumindest auf dem Papier mit dem Sexiest Arschloch Alive zusammen gewesen – nein, Moment, der Titel hieß anders, oder? Ihr fiel der richtige Name aber gerade partout nicht ein.

»Hey«, erwiderte sie deshalb so leger wie möglich, während sie ihre zweite Hand zur Hilfe nahm und weiter an dem Messer im Reifen vor ihr ruckelte.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fuhr der Mann fort.

»Nein, danke. Sie können gern weitergehen, ich habe zu tun.« Sie zog noch einmal mit aller Kraft an dem Messer … das mit einem Ruck aus dem Gummi flutschte, sodass sie beinahe hintenüberfiel. Doch sie fing sich gerade noch rechtzeitig und rappelte sich hastig vom Boden auf.

Sie hatte gehofft, dem Fremden so auf Augenhöhe begegnen zu können – doch dafür fehlten ihr leider weitere zwölf Zentimeter.

Shit, der Typ war groß … und könnte er aufhören, sie anzusehen, als wäre sie eine Verbrecherin?

Also, klar, sie wusste, wieso er seine völlig falschen Schlüsse zog, aber …

Moment, erkannte er sie nicht?

Ihr Herz machte einen freudigen Hüpfer. Hatte sie ernsthaft das Glück, dass der Anwalt ihr gegenüber nicht wusste, wer sie war?

Ja. Er schaute sie skeptisch und wachsam an, aber er wirkte nicht schockiert oder aufgeregt. Er musterte sie länger, als ihr lieb war, so wie alle Menschen es taten … aber er hatte sie weder mit den Worten: »Oh Gott, Sie sind Daisy Duke!«, noch mit »Sind Sie nicht diese berühmte Cupcake-Frau?« begrüßt.

Nein, stattdessen wollte er wissen: »Ist das Ihr Auto?«

Daisy blinzelte. Sah zum Lamborghini. Sah wieder zurück.

»Klar!«, sagte sie ohne Umschweife. »Ich hab noch nie Reifen gewechselt, mach ich da was falsch?«

Der Mann verzog keine Miene. »Nope. Kann nichts Ungewöhnliches entdecken«, erwiderte er trocken. »Ist das Sahnetorte auf Ihrem Kleid?«

»Nein, das sind Stofffetzen auf meiner Sahnetorte – und Sie dürfen gern jederzeit weitergehen.« Sie machte eine ausladende Handbewegung in Richtung Ausgang.

»Mhm«, machte er und betrachtete den eingeritzten Mittelfinger in der Autoflanke. »Hübsch.«

»Ich weiß. Banksy kam vorbei und wollte sich unbedingt verewigen.«

»Banksy malt jetzt also auch Mittelfinger?«

»Ja, er hatte genug von Kindern und Ballons und will sich neu erfinden, also … bis dann!« Sie winkte ihm zu, doch der Typ bewegte sich nicht von der Stelle.

Ihm war klar, dass sie ein Messer in der Hand hielt, oder? Er sollte nicht so entspannt aussehen!

»Wissen Sie, wie viel ein Lamborghini kostet?«, fuhr er ruhig fort.

»Natürlich weiß ich das. Ich hab schließlich meinen da gekauft. Und wissen Sie, wann es Zeit wird, zu gehen?«

»Nee, damit hatte ich schon immer Probleme.«

Sie lächelte süßlich. »Dann lassen Sie mich helfen: Jetzt. Denn wenn Sie mir noch weiter ungefragt dabei zusehen, wie ich …«… die Kontrolle über mein Leben verliere … »… meine Reifen wechsele, verlange ich fünfzig Dollar pro Minute.« Und das war ein mehr als fairer Preis, die Fotografen von heute Abend würden das Hundertfache für eine bloße Sekunde bekommen.

Der Mann öffnete den Mund … und schloss ihn wieder. Vermutlich benötigte sein Gehirn alle freien Kapazitäten, um diese Situation zu verarbeiten und sich zu fragen, ob eine Frau in ihrem emotionalen Zustand ein Messer in der Hand halten sollte.

Sie räusperte sich laut. »Hören Sie, es ist nach Mitternacht, sicherlich sind Sie müde und möchten ins Bett. Sie sehen aus wie ein hart arbeitender Mann, der seinen Schönheitsschlaf sehr ernst nimmt, wie sonst sind Sie so attraktiv geworden? Also …«

»Ihnen ist klar, dass ich die Polizei rufen muss, egal, wie aufrichtig und herzlich Sie sich um meinen Schlaf sorgen, oder?«, unterbrach er sie gelassen.

Ihr Mund wurde trocken. »Ich hab Sie auch attraktiv genannt. Zählt das gar nichts?«

»Nun, ich würde das Kompliment ernster nehmen, wenn Sie währenddessen nicht mit einem Messer herumgefuchtelt hätten.«

»Oh.« Hastig ließ sie das Steakmesser fallen, das mit einem lauten Klappern auf dem Beton aufschlug. »Entschuldigung, das sollte keine Drohung sein, ich hab vergessen, dass ich es in der Hand hatte. So besser? Ich bin harmlos, wirklich!«

»Würde der Lamborghini dasselbe behaupten?«, fragte der Fremde zweifelnd, stieß sich vom Wagen ab und wollte sich an ihr vorbeidrängen.

Scheiße. Sie war preisgekrönte Patissière, wie zur Hölle konnte sie dann nichts gebacken kriegen?  

»Okay, okay, warten Sie!«

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