Ein Kicker für Mia – Leseprobe

Prolog

Nick

Vor sechs Jahren …

„Ich bin schwanger.“

„Du bist was?“

„Schwanger, Nick.“

Alles in mir erstarrte und mein Mund klappte auf. „Ich verstehe nicht.“

Mia presste die Lippen zusammen und seufzte schwer. „Lass es mich so sagen: Dein lächerlich übereifrig-sportliches Spermium hat meine Eizelle mit einem Footballstadion verwechselt und einen Touchdown erzielt.“

Ach du scheiße. „Du bekommst ein Kind?“ Entsetzt riss ich die Augen auf. „Aber wir … wir haben … wir … was?!

„Oh nein. Nein, nein, nein“, rief Mia und wedelte mit zitterndem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum. „Nicht ich bekomme ein Kind. Wir bekommen ein Kind! Nur weil es mein Uterus ist, habe ich noch lange kein Alleinrecht auf das Wunder, das sich Leben und absolut falsches Timing nennt!“

Mein Magen flatterte aufgeregt in alle Richtungen und ich versuchte mich zu beruhigen … aber scheiße, ein Baby? „Aber wir kennen uns erst seit vier Monaten!“, entfuhr es mir. „Wie kannst du da schwanger sein?“

„Richtig. Die Regel besagt ja, dass man sich mindestens fünf Monate kennen muss, bevor man schwanger werden kann. Ich bin froh, dass du in Biologie aufgepasst hast. Dann haben die drei Stäbchen, auf die ich gepinkelt habe, allesamt gelogen. Gut, dass wir das geklärt haben!“

Shit, sie wurde immer hysterischer. In einer hoffentlich beruhigenden Geste hob ich die Hände. Mia wurde nicht laut. Tat sie nie. Und wenn sie die Fassung verlor, dann beunruhigte mich das zutiefst. „Okay, ganz langsam …“

„Ja, mach du nur langsam, wir haben ja noch neun Monate Zeit, um vollkommen auszurasten!“, sagte sie schrill, sprang auf und lief vor dem Bett auf und ab.

„Aber … aber …“ Ich versuchte die richtigen Worte zu finden, doch es gab keine! Meine Gedanken überschlugen sich und ein Szenario nach dem anderen flog vor meinem inneren Auge vorbei. Eines schrecklicher als das andere. Ich war nicht bereit dazu, Vater zu sein! Mit einundzwanzig war ich meinen Familienpflichten doch gerade eben erst entkommen. Da wollte ich nicht gleich wieder neue eingehen! Ich hatte mein Leben lang darauf gewartet, keine Windeln mehr wechseln, nicht mehr auf Kleinkinder aufpassen und kein einziges Händchen mehr halten zu müssen … Ich konnte meine neugewonnene Freiheit nicht sofort wieder aufgeben. Ich wollte Football spielen und reich werden. Keine Babybettchen aufbauen und mein Geld in Feuchttücher investieren!

Tief atmete ich ein und aus. Ich durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Das würde nicht dabei helfen, Mia zu beruhigen.

Fuck!

Fuck, fuck, fuck.

„Okay, okay“, sagte ich betont gelassen, während ich mit meinem inneren Fluchtinstinkt rang. Aber … es war Mia. Und ihr panischer Blick ließ in mir das Verlangen aufkommen, sie in den Arm zu schließen und ihr zu versichern, dass das alles gar keine große Sache war und wir das schon hinbekommen würden. Nur leider war es eine große Sache und Mia war bei Weitem nicht dumm genug, mir eine solche Lüge zu glauben. Fantastisch. Ich hatte mir ja unbedingt eine intelligente Freundin suchen müssen!

„Okay, okay“, wiederholte ich. „Wir … wir das … das … wir schaffen schon. Eins nach … anderem …“

„Oh Gott!“ Mia legte den Kopf in den Nacken. „Der Vater meines Kindes ist der englischen Sprache nicht mächtig, sobald es ernst wird. Unser Kind kann nur dumm werden.“

Wenn es nach ihr kam, ganz bestimmt nicht. „Ich … gib mir Zeit, normal zu denken“, bat ich laut und möglicherweise unangebracht aggressiv. Aber das interessierte Mia überhaupt nicht. Sie war ganz damit beschäftigt, ein hitziges Selbstgespräch zu führen.

„… wollte immer Kinder haben, aber doch nicht jetzt! Ich bin einundzwanzig! Ich will meinen Collegeabschluss machen. Ich will irgendwann meine eigene Catering-Firma aufmachen oder zumindest eine leiten, ich wollte damit warten, eine Familie zu gründen! Mann, ich weiß doch gar nicht, ob du der Richtige bist! Ich weiß gar nicht, ob du überhaupt Kinder wolltest! Ich …“

„Ich will Kinder“, unterbrach ich sie abwesend. „Ich wollte immer Kinder. Aber … nicht jetzt!“

Meine drei Schwestern hatten mir den Nerv sowie den Großteil meiner Kindheit und Jugend geraubt, aber das änderte nicht, dass es außer Frage stand, dass ich irgendwann selbst eine Familie gründen wollte. Aber doch erst, wenn ich dazu bereit war! Wenn ich meine Verpflichtungsfreiheit eine Weile genossen hatte! Wenn ich Zeit gehabt hatte, herauszufinden, was mich wirklich glücklich machte. Wenn ich mir sicher war, mit Mia meine Traumfrau gefunden zu haben. Wenn ich berühmter, stinkreicher Footballer war. Wenn ich all meine Pläne, meine Träume verwirklicht hatte. Ich war so kurz davor, ich hatte so verdammt hart gearbeitet …

„Du wolltest immer Kinder?“ Diese Aussage ließ Mia offenbar kurzzeitig ihre Panik vergessen. Sie blieb stehen und sah mich mit großen dunklen Augen an. „Das hast du mir nie erzählt.“

Ich lachte trocken auf. „Soll ich wiederholen, dass wir uns vier Monate kennen? Ich habe dir auch noch nicht gesagt, dass ich gern überm Meer verstreut werden will, wenn ich sterbe! Ich dachte, dazu komme ich dann vielleicht lieber etwas später.“

„Okay, okay … es …“ Mia brach ab und runzelte die Stirn. „Über dem Meer? Wirklich? Aber wo soll deine Familie dann trauern?“

„Mia! Prioritäten!“

„Richtig. Sorry.“ Sie fuhr sich unwirsch durch die Haare, dunkelbraune Strähnen fielen auf ihre Wangen und umrahmten ihr ovales Gesicht. „Also, ich … sorry … überfallen … schwierig …“

Meine Mundwinkel zuckten. „Du hast recht. Unser Kind wird definitiv Probleme damit bekommen, sprechen zu lernen, wenn wir seine Vorbilder sind.“

Mia stieß einen hohen, kieksenden Lacher aus, bevor sie sich auf ihr Bett sinken ließ. „Ich habe solche Angst, Nick“, sagte sie leise, den Blick starr auf den Boden gerichtet. „Ich will das Kind behalten, weißt du? Ich bin keine sechzehn mehr, ich bin fast mit dem Studium fertig, ich …“

„Natürlich behalten wir das Kind!“, sagte ich entgeistert und sank in die Hocke, die Hände auf ihren Knien. „Das steht doch außer Frage.“

Sie lächelte wackelig und ihre Augen glänzten. „Wirklich?“

„Ich habe keine Sekunde über eine andere Möglichkeit nachgedacht.“ Was der Grund war, warum ich innerlich austickte!

Ich mochte nicht bereit sein, meine gerade erst gewonnene Freiheit abzugeben, aber dafür konnte doch das Baby nichts!

Ich sah Mia schlucken. „Nick, wir kennen uns doch kaum“, wisperte sie. „Wir wissen überhaupt noch nicht, ob das zwischen uns funktionieren wird. Wir …“

Ich legte die Hände fest um ihr Gesicht und in diesem Moment war es egal, dass ich Angst hatte. Egal, dass ich Träume hatte. Egal, dass ich panisch wurde und die Wände des Zimmers näher zu kommen schienen. Denn wir mochten erst seit vier Monaten zusammen sein, aber ich hatte noch nie für eine Frau empfunden wie für Mia und wenn ich schon mit jemandem ein sprachgestörtes Kind großziehen musste, dann mit ihr! 

„Es wird funktionieren“, sagte ich leise und wiederholte die Worte in meinem Kopf. Wieder und wieder. Mias Familie wohnte in Boston, sie konnte mit dem Kind helfen. Ich würde Zeit für mich haben. Wenn das Kind älter war, wenn …

Ich schluckte und ließ den Gedanken fallen. Es würde schon funktionieren. „Ein Kind ist nicht der Weltuntergang. Ich meine, klar, das Baby war nicht geplant, aber … Penicillin war auch nicht geplant und jetzt freuen sich alle drüber, oder?“

„Vergleichst du unser Baby gerade mit einem Antibiotikum?“

„Ja, tue ich.“

Sie lächelte. Ihre Lippen zitterten und Tränen verklebten ihre Wimpern, doch ich spürte das Lächeln trotzdem tief in meinem Bauch. „Okay, wollte nur sichergehen.“

„Meinst du nicht, dass eine Mischung aus deinen wunderschönen und meinen sportlichen Genen ziemlich fantastisch werden könnte? Dann merkt niemand mehr, dass das Kind nicht richtig sprechen kann.“

Sie nickte leicht und biss sich auf die Unterlippe. „Das finde ich schon. Auch wenn du mich gerade unsportlich genannt hast – und das Baby mich bestimmt unfassbar viel treten wird. Weil du doch Kicker bist und so.“

„Merk dir, dass ich dich wunderschön genannt habe, nicht das andere.“

Wieder lächelte sie und als das Lächeln ihre warmen, braunen Augen erreichte, wurde ich für einen Moment ruhig. Still. Beinahe zufrieden.

„Warum grinst du, Nick?“

 „Weil du mehr ausgerastet bist als ich und du mir immer vorwirfst, zu schnell durchzudrehen“, stellte ich fest und räusperte mich.

Sie schnaubte. „Oh, ich habe die unaufhaltsame Panik in deinen Augen gesehen, glaub mir.“

„Ja? Nun, die Panik ist jetzt weg.“

„Wirklich?“

Nein. „Wirklich. Wir haben Zeit. Unsere Familien wohnen hier. Wir überlegen uns etwas. Zusammen. Glaub mir, ich habe nicht vor, dich morgen plötzlich zu verlassen.“ Er hob einen Mundwinkel. „Das wird schon funktionieren.“

„Optimistisch.“

„Einer von uns beiden muss es sein.“

Sie nickte, während ich die nächsten Tränen mit meinem Daumen wegwischte. „Du glaubst wirklich, dass das … dass wir funktionieren könnten? Du hast doch noch gar nicht all meine nervigen Eigenschaften kennengelernt. Du weißt nicht, wie ich ungeschminkt aussehe. Du hast mich noch nicht vor Wut schreien gehört. Du hattest noch gar keine Chance, dich richtig in mich zu verlieben.“

„Ganz ehrlich?“, flüsterte ich und mein Herz schwoll bei ihrer offensichtlichen Unsicherheit auf die dreifache Größe an. „Seit du mir ein Drei-Gänge-Menü gekocht hast, bin ich ziemlich verliebt in dich.“

Sie lächelte zittrig. „Ja?“

Ich nickte. „Was ist mit dir? Glaubst du, das könnte funktionieren?“

„Ich bin in dich verliebt, seit du mir gesagt hast, ich würde nerven, aber du würdest trotzdem gern mit mir ausgehen.“

Ich lächelte breit. „Nun, du hast genervt. Du hast jede zweite Sekunde in mein Gesicht gepsschhht.“

„Du hast während der Vorlesung geredet! Ich wollte zuhören.“

„Die Vorlesung war langweilig! Da ging es nur um Businessstrategien und anderen Kram.“

„Ich will ein Business gründen!“

„Nun, das konnte ich zu dem Zeitpunkt wirklich nicht wissen, oder?“

Sie verdrehte die Augen, doch ein Lächeln zupfte an ihren Mundwinkeln und da war wieder die kurzzeitige Ruhe in meinem Inneren. Die Ruhe, die mich vergessen ließ, was ich hatte hinter mir lassen wollen.

Doch. Das könnte klappen. Wir würden das schon hinbekommen. Ein Schritt nach …

Mein Handy klingelte.

Ich zuckte zusammen und meine Hände glitten von Mias Gesicht, um mein Telefon hervorzuziehen. Das Display zeigte Ron Krugers Namen an.

„Geh ruhig dran“, murmelte Mia, die meinem Blick gefolgt war. „Es könnte wichtig sein.“ Sie ließ ihren Zeigefinger über meine Bartstoppeln gleiten. „Wir haben noch eine ganze Nacht und neun Monate voller Diskussionen vor uns, das kann noch zwei Minuten warten.“

Ich nickte, küsste sie sacht und stand auf. „Bin sofort zurück.“

Ich durchquerte den Raum und schlüpfte aus der Tür. Es war kühl auf dem Gang des Studentenwohnheimes und ich hoffte, dass das Telefonat mit meinem Agenten nicht allzu lang dauern würde.

„Hey, Ron“, meldete ich mich. „Es ist gerade ein schlechter Zeitpunkt, also mach es kurz.“

Der Mann auf der anderen Seite lachte. „Nichts leichter als das, mein Freund! Denn herzlichen Glückwunsch, Mann, du hast es geschafft! Du hast gerade ein Angebot der San Antonio Lions erhalten, also pack deine Koffer, wir gehen nach Texas!“

Kapitel 1

MIA

Heute …

„So eine Schippe!“ Ich fluchte leise und nahm ein letztes Mal den Versuch in Angriff, den Reißverschluss zuzuziehen. Aber der gab nur ein unzufriedenes Ächzen von sich, bevor er müde wieder an meiner ausgeprägten Hüfte hinabglitt.

„Schippe, Schippe, Schippe!“

Es war der Lebkuchen gewesen. Es musste der Lebkuchen gewesen sein! Warum hatte ich keine Selbstdisziplin?

Ich stieg aus dem Kleid und probierte das nächste, das an einem Haken in der Umkleidekabine hing. Das verdammte Ding hatte auch einen Reißverschluss. Wenigstens bekam ich ihn zu. Und wenn ich aufs Atmen verzichtete, blieb er vielleicht sogar geschlossen.

Ich stöhnte und legte mir eine Hand über die Augen.

Ich hatte es für eine gute Idee gehalten, zusammen mit Sammy Lebkuchenhäuser zu basteln, jedoch nicht darüber nachgedacht, dass mein Sohn das Haus dann natürlich auch essen und nicht nur hübsch auf das Regal stellen wollen würde. Und weil Sammy nach einem halben Dach satt gewesen war, war es an mir hängen geblieben, den schönen Lebkuchen nicht zu verschwenden.

Das – und wenn ich wieder am Öffnen eines Gurkenglases verzweifelte – waren die Momente, in denen ich mir manchmal einen Mann wünschte. Ansonsten fiel es mir überhaupt nicht schwer, auf ein Exemplar des nervenschwachen Geschlechts zu verzichten. Aber zum Bezwingen der frauenfeindlichen Gurkengläser und zum Essen von übriggebliebenen Lebkuchenhäusern wären sie doch manchmal ganz nützlich. Zumindest hätte meine Hüfte dann keine so feindliche Beziehung zu engen Reißverschlüssen mehr. Und mir war es sehr wichtig, dass die beiden sich vertrugen.

„Das Kleid ist zu eng. Das sollten Sie eine Nummer größer nehmen.“

Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Eine der Verkäuferinnen lugte durch den Schlitz des Umkleidevorhangs. Irritiert betrachtete ich das runde Gesicht, das von zwei blonden Zöpfen umrahmt wurde, die ihre Eigentümerin wie zwölf aussehen ließen.

„Entschuldigen Sie bitte?“, fragte ich bemüht ruhig. „Könnte ich etwas Privatsphäre haben?“

„Oh, hatten Sie nicht um Hilfe gerufen?“

„Nein.“ Ich hatte um Schippe gerufen.

„Tut mir leid … und dennoch: Das Kleid ist viel zu eng. Sie brauchen eine …“

„Das weiß ich!“, sagte ich gereizt. „Das sind meine restlichen Schwangerschaftspfunde.“

„Aww, wie süß.“ Die Verkäuferin bekam sofort einen verklärten Gesichtsausdruck, die Hände auf die Brust gedrückt. „Wie alt ist das Baby?“

„Fünf.“

„Oh.“ Das Lächeln fiel von ihrem Gesicht.

Ja, oh.

Ich wandte ihr wieder den Rücken zu und zupfte an dem Ausschnitt herum. Das Kleid war wirklich viel zu knapp. Meine Brüste strebten so enthusiastisch gen Freiheit, dass mich die Polizei sicherlich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses aufgreifen würde. Das Deprimierende war: Ich hatte noch nie in ein solches Kleid gepasst. Auch nicht vor der Schwangerschaft. Auch nicht, als ich sechzehn Jahre alt gewesen und als unsichtbare graue Maus durch die Schule gestreunt war. Das Wort zierlich war mit meiner Geburt aus dem Wörterbuch gestrichen worden.

„Welchen Zweck soll das Kleid denn erfüllen?“, wollte die Verkäuferin wissen, die offenbar immer noch nicht das Wort Privatsphäre gegoogelt hatte.

War es eine texanische Eigenart, sich in die Privatangelegenheiten anderer einzumischen? Ich wohnte erst seit ein paar Wochen in San Antonio und konnte es nicht sagen. Ich wusste nur, dass mich in Boston nie jemand beim Kaufen eines Kleides gefragt hatte, wofür ich es brauchte!

Was leider eine gute Frage war. Denn warum brauchte ich ein neues Kleid? Ich war mir nicht sicher. Das Einzige, was ich wusste, war, dass es definitiv nichts damit zu tun hatte, dass ich gleich zum ersten Mal seit zwölf Monaten Nick wieder gegenübertreten würde. Ich hatte gleich ein Vorstellungsgespräch bei der Lions-Organisation, um Chefin ihrer hauseigenen Cateringfirma zu werden. Deswegen wollte ich mir etwas Neues kaufen. Nur deswegen.

Okay, das war gelogen. Es hatte alles mit Nick zu tun und nichts mit dem Job, den ich eigentlich schon sicher hatte.

Wir hatten uns die letzten Jahre über so gut es ging gemieden. Wir schrien zu oft in der Gegenwart des anderen und jagten Sammy damit Angst ein. Also hatte Nick es die letzten Jahre für klüger gehalten, eine seiner Assistentinnen zu schicken, um Sammy abzuholen, wenn er in der Stadt war – und ich war froh darum gewesen. Denn Nick brachte die schlechtesten Seiten in mir hervor.

Doch das war gewesen, bevor er mich angebettelt hatte, herzuziehen, damit er Sammy öfter sehen konnte. Bevor er angekündigt hatte, dass er mehr Teil von Sammy Leben werden wollte.

Der Bastard.

Wir hatten ein System, das funktionierte – und er musste die Regeln ändern. Aber Sammy fragte so oft nach seinem Dad und es war das Richtige, dass ich hergezogen war. Wenn schon nicht für mich, dann zumindest für ihn.

Dennoch: War es ein Verbrechen, sexy und umwerfend aussehen zu wollen, wenn man seinen eins neunzig Footballer-Ex-Freund wiedersah, der laut Internet noch schöner als seine Field Goals war?

Nein, verdammt! War es nicht.

Das Problem war, dass sexy mir nicht lag. Kuschelig und gemütlich waren meine Stärken. Ehrlich gesagt konnte ich mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal ansatzweise heiß gefühlt hatte. Ich stellte mir zwar gern vor, dass ich die Figur eines Pin-up-Girls hatte – aber dafür waren meine Beine zu wenig Pin und meine Brüste zu wenig Up.

Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel und schüttelte den Kopf. Es war hoffnungslos. Dann sah ich eben nicht sexy, sondern in Jeans und weißer Bluse nur professionell aus.

„Ich glaube, ich brauche gar kein Kleid“, sagte ich seufzend und lächelte der Verkäuferin knapp zu, bevor ich den Vorhang der Umkleide schloss. Nick würde ohnehin nicht interessieren, was ich trug. Er ging mittlerweile mit Models und Schauspielerinnen aus, die eine Taille besaßen.

Und das Gespräch, um das er mich gebeten hatte, würde auch nicht lang dauern. Klar, wir hatten einiges zu klären, wenn wir uns jetzt öfter sehen und praktisch im selben Gebäude arbeiten würden, aber ich hatte mir fest vorgenommen, die Ruhe zu bewahren. Emotionslos, erwachsen und kurz. So würde die Unterhaltung laufen. Ich hatte absolut keinen Grund, nervös zu sein. Was war schon dabei, mehr Zeit mit Nick zu verbringen?

Stöhnend ließ ich die Stirn gegen den Spiegel sinken.

Scheiße. 

Manchmal reichte das Ersatzwort Schippe einfach nicht. Denn manchmal war eine Situation nicht schippe, sondern scheiße.

Ja, innerhalb des letzten Jahres hatten wir Fortschritte gemacht und konnten sogar fünfminütige Telefonate führen, ohne ausfällig zu werden. Aber nur, weil wir zurzeit am Rande eines friedlichen Beisammenseins standen, hieß das doch nicht, dass wir demnächst zusammen Freundschaftsarmbänder knüpfen würden.

Doch Sammy freute sich so sehr darauf, mehr Zeit mit seinem Vater zu verbringen … und mein Sohn würde immer oberste Priorität haben. Es war egal, wie ich mich fühlte. Ich würde mit Nick reden. Ich würde den Job annehmen. Ich würde friedlich neben ihm koexistieren. Jup. Genau das.

Wie begrüßte man den Kerl, den man irgendwann mal geliebt, der einem dann jedoch das Herz gebrochen und einen für einen Football verlassen hatte? Dieser Gedanke spukte in meinem Kopf herum, als ich langsam auf das Management-Gebäude der San Antonio Lions zuschlenderte.

Umarmte man sich? Gab man sich ein Wangenküsschen? Vielleicht auch nur höflich die Hand?

Ich wusste es nicht, doch es war ohnehin egal. Denn jeder Gedanke daran wurde aus meinem Kopf gefegt, sobald ich die hochgewachsene Gestalt vor dem Gebäude erblickte.

Ich sah Nicks Gesicht nicht, doch ich erkannte ihn innerhalb von Sekunden. Es war seine Haltung. Die Selbstsicherheit, die er ausstrahlte. Als würde ihm die Welt gehören – und als wüsste die Welt das. Es war der intensive Blick aus seinen verengten Augen, den ich schon immer aus einer Meile Entfernung gespürt hatte.

Mein Mund wurde trocken und mein Herz hüpfte in der Brust. Der Blödmann sah gut aus. Und ich hasste ihn ein wenig dafür.

Mit dem breiten Rücken gegen die Wand gelehnt stand er da, die langen Beine ausgestreckt und an den Knöcheln gekreuzt, die blonden Haare vom Wind zerzaust. Als wäre er gerade von seinem verdammten Surfbrett gestiegen.

Das T-Shirt spannte über seiner muskulösen Brust und seinem definierten Bizeps, während die ausgewaschene Jeans sich an seiner schmalen Hüfte festklammerte, als hinge ihr Leben davon ab.

Mist. Ich hatte mir insgeheim gewünscht, dass er einen dicken Mantel trug, der seinen kompletten Körper verbarg. Doch in Texas war der Januar längst nicht so kalt wie in Boston und Nick schon immer von Natur aus heiß gewesen.

Also von der Körpertemperatur her.

Jaja, okay, auch was den anderen Aspekt betraf!

Ich spannte die Schultern an und reckte automatisch das Kinn. Der einundzwanzigjährige Nick war schon zum Anbeißen gewesen. Doch der siebenundzwanzigjährige Nick war … Nun, ich war nicht religiös, aber anbetungswürdig schien zu passen. Der Dreitagebart betonte seinen scharf geschnittenen Kiefer und seine Augen waren so blau wie der texanische Himmel. Das behauptete zumindest die Hälfte der Vereinigten Staaten. Mich natürlich nicht miteingeschlossen. Ich war vollkommen unbeeindruckt. Mein Körper auch. Und wenn ich es noch dreimal wiederholte, wurde es mit Sicherheit wahr.

„Hey“, sagte er und stieß sich von der Wand ab. Seine Stimme war dunkel und weich wie Samt. So verdammt vertraut – und gleichzeitig furchtbar fremd. „Ich war nicht sicher, ob du kommst.“

Ja, ich auch nicht. „Natürlich bin ich gekommen“, sagte ich leichthin und blieb einen Meter vor ihm stehen. „Ich habe einen Job zu ergattern.“

Er lächelte schief. „Ah, natürlich. Du bist wegen des Jobs hier. Nicht, weil du Lust hast, mit mir zu reden.“

Ich schürzte die Lippen, zupfte an dem Saum meiner Bluse und wandte den Blick ab. Damit sein Lächeln aufhörte, meinen Magen in Aufruhr zu bringen. „Na, du musst mir verzeihen, aber die Vergangenheit hat nun einmal bewiesen, dass wir weitaus talentierter im Schweigen sind. Denn wir reden nicht miteinander. Wir schreien.“

Ich hörte ihn seufzen. „Ich hatte eher das Gefühl, dass wir in letzter Zeit an einem guten und friedlichen Punkt in unserer Beziehung angelangt sind, meinst du nicht?“

Ich zwang mich dazu, ihn wieder anzusehen, doch nickte. „In Ordnung. Ja. Das letzte Jahr war besser.“ Auch wenn ich davon überzeugt war, dass es daran lag, dass immer zweitausend Meilen zwischen uns gelegen und wir fast ausschließlich über E-Mail miteinander kommuniziert hatten.

„Gut. Warum bist du dann so nervös?“, wollte Nick wissen. Sein Blick lag auf meinen Fingerspitzen, mit denen ich noch immer meinen Blusensaum malträtierte.

Hastig ließ ich den Stoff los. „Der Job, Nick. Der Job“, log ich. „Ich habe gleich das finale Gespräch.“

„Ich hab dir gesagt, dass du ihn sicher hast!“

Ja, er hatte vollkommen recht. Das Treffen heute war ehrlich gesagt nur noch eine Formalie. Ich war vor ein paar Monaten zum Testarbeiten hier gewesen und alle hatten mein Essen geliebt, worüber ich mich sehr gefreut hatte. Dennoch …

„Also erstens, nur fürs Protokoll: Ich hätte deine Hilfe nicht gebraucht, um einen Job zu finden! Und zweitens: Auf dich kann man sich nicht unbedingt immer verlassen, oder?“, erwiderte ich bissig.

Er hob eine Augenbraue und beugte sich langsam zu mir vor. „Wenn du mit normaler Lautstärke durch dieses Gespräch kommen willst“, wisperte er gefährlich leise. „Dann hör auf, mich zu provozieren.“

Ich presste die Lippen aufeinander und Hitze durchströmte meinen Körper. Das empfand ich immer, wenn ich ihn sah.

Konsumierende Hitze. Eine Mischung aus Wut, Verlangen und Reue.

Genug. Es ist ewig her.

„Schön. Ich höre zu, Nick“, riss ich mich zusammen und verschränkte die Arme vor dem Körper. „Worüber möchtest du so dringend reden?“

„Über uns.”

Mein Herz rutschte in meine Hose und ich weitete die Augen. „Uns?“, fragte ich erschrocken.

„Ja. Uns.“ Er wedelte achtlos mit der Hand zwischen mir und ihm hin und her. „Darüber, wie wir uns verhalten, wenn wir uns sehen. Ob wir Regeln brauchen. Darüber, dass wir uns vermutlich etwas … anfreunden sollten.“

Ich öffnete den Mund … doch brachte keinen Ton hervor.

Verärgert verengte Nick die Augen. „Schau mich nicht an, als hätte ich vorgeschlagen, gemeinsam einen Töpferkurs zu belegen, Mia.“

Ich schluckte und strich mir fahrig den Pony aus der Stirn. „Na ja, ehrlich gesagt wäre der Vorschlag weniger absurd, Nick.“Denn er wollte mit mir befreundet sein? War er high?

„Wieso? Wir waren mal befreundet“, meinte er unschuldig und kratzte sich den Nacken, sodass sich sein Shirt noch enger an seine Schultern schmiegte.

Ich schnaubte. „Wir waren nie befreundet. Ich weiß, seit du berühmter Footballer bist, bist du etwas weltfremd, aber … Freunde machen nicht das, was wir getan haben.“

Nachdenklich neigte er den Kopf. „Du meinst, Freunde haben nicht wochenlang fantastischen, verschwitzten Sex miteinander?“

Eine Gänsehaut kletterte meinen Nacken hinunter und etwas zog sich in meinem Unterleib zusammen, doch das ignorierte ich großzügig. „Du wolltest reden, Nick. Nicht alte Kamellen aufwärmen“, erinnerte ich ihn steif. Denn ich hatte wenig Lust auf die Bilder, die automatisch in meinen Geist strömten. Ich hatte Jahre gebraucht, um sie loszuwerden und ich würde nicht wieder damit anfangen, in der Vergangenheit zu schwelgen. Also blinzelte ich sie weg, bevor sie sich manifestieren konnten.

Er seufzte schwer und schloss die Augen. Als er sie das nächste Mal öffnete, war sein Blick ernst und jegliche amüsierte Note verschwunden. „Wir müssen lernen, uns zumindest zu verstehen, Mia. Wir werden uns gezwungenermaßen über den Weg laufen. Bei jedem deiner Catering-Gigs. Wenn ich Sammy abhole. Wenn ich ihn zu dir zurückbringe. Uns bleibt keine andere Wahl, als … neu anzufangen, oder?“

„Ich weiß nicht, ist hier nicht irgendwo ein Highway in der Nähe, auf den ich mich stattdessen legen könnte?“, erwiderte ich, nicht ganz sicher, ob ich scherzte.

Nick schnaubte leise. „Wirklich? Du würdest dich lieber vor ein Auto werfen, als zu versuchen, mich wieder wie einen Menschen und nicht den Anti-Christen zu behandeln?“

„Das kommt darauf an.“ Ich wiegte den Kopf von der einen auf die andere Seite. „Wie schnell, meinst du, werde ich wohl tot sein? Und würdest du dich bereiterklären, mein geheimes Brownie-Rezept an Sammy zu geben? Es soll in der Familie bleiben.“

„Wenn du dich auf den Highway legst, werde ich dein geheimes Brownie-Rezept an einen Fernsehkoch verkaufen“, erwiderte er ungerührt.

„Du bist grausam.“

„Das hält mich nachts warm – also: Können wir jetzt ernsthaft darüber reden, wie wir die Sache am besten angehen?“ Erwartungsvoll hob er die Augenbrauen. „Oder möchtest du weiter über deinen fiktiven Tod nachdenken? Komm schon, Mia. Wir sind vielleicht nicht befreundet, aber … wir hassen uns auch nicht, oder?“

Ich sollte ihm eine Chance geben. Das wusste ich. Unsere Beziehung lag Ewigkeiten zurück und Nick hatte sich das vergangene Jahr über zugegebenermaßen sehr viel Mühe gegeben, ein guter Vater zu sein und verlorene Zeit wieder wettzumachen. Aber immer, wenn ich ihn ansah, zog sich meine Brust zusammen. Immer wenn ich daran dachte, wie viele Versprechen er zusammen mit meinem Herzen gebrochen hatte …

Ich schluckte. Ich musste es versuchen. Für Sammy. „Nein, ich hasse dich nicht, du Diva“, sagte ich leise. „Du hast mir Sammy gegeben. Ich könnte dich nie hassen.“

„Ich glaube, das ist das Netteste, was du seit fünf Jahren zu mir gesagt hast“, stellte er überrascht fest.

Ich musste widerwillig lachen und gab mir Mühe, den Blick aus seinen blauen Augen zu erwidern. „Ich glaube, du wirst es ertragen, wenn es eine Person auf der Welt gibt, die dir nicht jeden Tag das Ego streichelt.“

Er legte sich eine Hand auf die Brust. „Ich bin mir da nicht so sicher. Mein Ego ist sehr zerbrechlich.“

Ich schnaubte. Sein Ego war so zerbrechlich wie ein Block Granit. „Was genau schlägst du vor? Was sind diese Regeln, von denen du gesprochen hast?“

Er räusperte sich und die nächsten Worte ratterte er herunter, als hätte er sie vorm Spiegel geübt. „Nun, um ein wenig Normalität zu schaffen, sollten wir zu dritt etwas Zeit verbringen. Als Familie. Und wenn uns etwas stört, sprechen wir offen darüber. Außerdem: Jedes Mal, wenn wir uns zufällig sehen …“ Er nickte zum Managementgebäude der Lions. „… sind wir höflich und führen ein paar Minuten zwanglosen Smalltalk.“

„Du hasst Smalltalk“, stellte ich trocken fest.

„Ja, aber lose Bekannte führen nun einmal Smalltalk.“

„Ah.“ Ich nickte. „Wir sind also keine Freunde, sondern lose Bekannte – die ein Kind zusammen haben.“

Sein Blick verdüsterte sich. „Ich tanze hier auf Glas, Mia.“

Ja, und es war schön, nicht mehr allein damit zu sein. „Gut. Smalltalk. Klar. Kein Problem. Was das andere betrifft …“

Ich seufzte schwer. Ich wollte keine Zeit mit Nick verbringen! Ich wollte ihn nicht lächeln, nicht mit unserem Sohn herumalbern sehen, nicht seinen Geruch einatmen, nicht jeden Tag in Erinnerungen getränkt werden. Es war schlimm genug, dass Sammy andauernd bat, seine Footballspiele sehen zu dürfen, obwohl ich persönlich fand, dass sie fast etwas zu brutal für einen Fünfjährigen waren. Vielleicht waren sie aber auch nur zu brutal für mich. Weil ich jedes Mal, wenn Nick auf dem Bildschirm gezeigt wurde, damit rechnete, dass er aufsah und mit dem Zeigefinger einen Kreis auf seine Wange malte – sein albernes Zeichen dafür, dass er mich entdeckt hatte – und sich freute, dass ich hier war. So wie er es damals immer gemacht hatte.

Ich presste die Lippen zusammen und blinzelte mehrfach.

Das war jetzt nicht wichtig. Wichtig war, dass Nick recht hatte. Es wäre gut, wenn Sammy sah, dass seine Eltern miteinander auskamen. Dass er sich keine Sorgen machen musste.

„Du holst ihn Donnerstagmorgen ab, oder nicht?“, murmelte ich und betrachtete meine Fingernägel. „Komm ein wenig früher und wir können … gemeinsam frühstücken.“ Dann waren zumindest meine Hände und mein Mund beschäftigt. Das war immer von Vorteil, wenn ich mich im selben Raum wie Nick befand. 

„Danke“, meinte er leise.

„Mhm“, machte ich und zwang mich dazu, wieder aufzusehen. In seine dunkelblauen Augen zu blicken, in denen ich mich vor Jahren verloren hatte. Und ich wartete noch immer darauf, mich wiederzufinden.

Schippe. Ich sollte solche Sachen überhaupt nicht denken!

Nick neigte den Kopf und betrachtete mich eingängig. Sein Blick huschte über mein Gesicht. Blieb an meinen zusammengepressten Lippen hängen, glitt zu meinen Händen, die ich ineinander rang.

Und ich fragte mich, wie lang es wohl diesmal anhalten würde? Sein Interesse daran, Sammy öfter zu sehen. Sich besser mit mir zu verstehen. Seine Prioritäten neu zu ordnen. Innerhalb der letzten fünf Jahre hatte er oft angekündigt, sich mehr in Sammys Leben einbringen zu wollen. Lang durchgehalten hatte er nie.

Er war kein schlechter Mensch – und auch kein schlechter Vater. Aber sein Job und die Entfernung hatten es ihm nun einmal unmöglich gemacht, wirklich für Sammy da zu sein. Und ich konnte nicht sagen, ob sich das jetzt, da wir hier wohnten, ändern würde.

Vielleicht sollte ich ihm etwas mehr Vertrauen entgegenbringen. Manchmal vergaß ich vor lauter Wut, dass er im Grunde seines Herzens ein guter Mann war, der sich bemühte, allen Erwartungen gerecht zu werden. Aber das war nie das gewesen, was ich von ihm gewollt hatte. Er hatte nicht meinen Erwartungen gerecht werden sollen. Er hatte sich das nehmen sollen, was er wollte – und ich hatte mir eine lange Zeit gewünscht, dieses Etwas zu sein. Stattdessen hatte er mir gesagt, was ich hören wollte, nur um kein halbes Jahr später sein Versprechen zu brechen.

 „Was?“, wollte Nick wissen.

„Ich hab nichts gesagt“, erwiderte ich überrascht.

Er beugte sich vor und wisperte: „Aber du hast etwas gedacht – und ich bin nicht gut dabei weggekommen.“

Ich senkte den Blick, bevor ich tief durchatmete und Nick erneut fixierte. Er und seine blöde Aufmerksamkeit! „Schön, ja“, gab ich zu. „Du gibst dir Mühe, Nick. Das weiß ich. Im Moment bist du für Sammy da. Es fällt mir manchmal nur verdammt schwer, zu glauben, dass du es wirklich ernst meinst. Dass du nicht in einem Jahr wieder aufgibst und Sammy im Stich lässt.“

Ich sah, wie sich Nicks Kiefer anspannte. Wie sich seine Augen verdunkelten. „Natürlich. Du vertraust mir nicht. Du hast mir noch nie vertraut.“

Das war nicht wahr. „Ich bin nur nicht bereit, Risiken einzugehen“, sagte ich und reckte das Kinn. „Oder mit Sammys Gefühlen zu spielen.“

„Gut“, knurrte er. „Dann sind wir schon zwei. Und was soll ich dir sagen, Mia?“, meinte er genervt und ich war dankbar, dass er sich wieder gegen die Wand zurücklehnte. Ich brauchte den Raum, um zu atmen. „Ich meine: Ich habe dich gebeten, herzuziehen, weil ich ihn mehr sehen will, oder? Ich habe dir einen Job besorgt.“

Ich hob eine Augenbraue. „Ja. Soll ich dir dafür jetzt einen Stern auf die Stirn kleben, oder was?“

Nick schloss die Augen und atmete tief durch. Die Zähne aufeinandergepresst. Schön zu wissen, dass ich nicht die Einzige war, die sich aktiv zusammenreißen musste, nicht handgreiflich zu werden.

 „Was soll ich noch tun, damit du mir ein einziges Mal in deinem Leben einen Zentimeter entgegenkommst?“, fuhr er schließlich gezwungen ruhig fort. „Ich weiß, du vertraust nichts und niemandem – mir schon gar nicht –, aber ich will das Beste für Sammy. Das musst du mir glauben. Ich mag in den letzten Jahren nicht der grandioseste Vater gewesen sein, doch das will ich ändern. Aber das kann ich nur, wenn du es zulässt! Sammy ist nicht dumm, Mia. Er bemerkt alles. Jeden bösen Blick, jedes falsche Lächeln. Und ich verlange nicht von dir, dass du mich mit offenen Armen empfängst, ich möchte nur eine faire Chance bekommen.“

Ich schwieg. Hatte er recht? Gab ich ihm keine Chance? Wegen meiner Wut? Meinen eigenen bitteren Gefühlen?

Die Rädchen ratterten in meinem Kopf und dann nickte ich. Ich würde nicht die sein, die Sammy im Weg stand.

„Ich möchte es“, flüsterte ich. „Ich möchte es wirklich. Dir glauben und eine gerechte Chance einräumen. Sammy braucht einen Vater und er vergöttert dich.“

Ungeduldig betrachtete Nick mich, bevor er fragte: „Aber …?“

„Aber?“

Er schnaubte. „Komm, Mia, du kannst mir nicht erzählen, dass auf diese Worte kein Aber folgt.“

Er war wirklich erzürnend aufmerksam! Das ging mir auf den Keks. „Aber du musst aufpassen, was du in Sammys Gegenwart sagst“, sagte ich schließlich.

Überrascht ließ Nick die verschränkten Arme sinken. „Was habe ich gesagt, das nicht richtig war?“

„Du hast ihm erzählt, dass du Silvester lieber mit uns verbracht hättest.“

„Ja, und es war die volle Wahrheit. Ich hätte definitiv keinen so schlimmen Kater gehabt, wenn ich mit euch anstelle von Duncan gefeiert hätte.“

Ich verdrehte die Augen. „Wirklich, Nick? Du wärst lieber bei mir gewesen?“

„Mia“, flüsterte er und beugte sich wieder vor, sodass wir nun auf Augenhöhe waren. „Vielleicht kommt das jetzt unerwartet, aber ich habe wirklich kein Problem mit dir. Oft bist du sogar sehr unterhaltsam.“

Die heiße Wut, die ich innerhalb der letzten Minuten fast vergessen hatte, kochte schlagartig wieder in mir hoch. „Willst du damit sagen, dass ich diejenige mit dem Problem bin? Dass wir uns meinetwegen streiten würden?“

„Nun … ja“, meinte er gedehnt. „Also, nicht zu hundert Prozent, aber du bist es, die mir nicht verzeihen kann. Ich habe dir längst vergeben.“ Er zog eine Grimasse. „Na ja. Grob.“

Ungläubig riss ich die Augen auf. „Du hast mir vergeben?“

„Ja“, erwiderte er schlicht. „Und jetzt sieh mich nicht so an. Ich weiß, dass auf beiden Seiten eine Menge schiefgelaufen ist und immer noch schiefläuft und abgesehen davon, dass ich dir damals die Wahl gegeben ha…“

„Halt die Klappe, Nick“, unterbrach ich ihn kühl, während ich die Fingernägel in mein eigenes Fleisch grub. „Wenn wir uns weiterhin verstehen sollen, möchte ich diese Worte nie wieder aus deinem Mund hören. Sag nie wieder, dass du mir die Wahl gelassen hast.“

Er biss die Zähne aufeinander und ich sah genau in seinem Blick, dass er davon überzeugt war, im Recht zu sein. Dass er ernsthaft dachte, es wäre eine Wahl gewesen, vor die er mich gestellt hatte. Als wäre es wirklich eine Option gewesen, seinen Lebenstraum zu zerstören und seine Wut und Unzufriedenheit deswegen den Rest unserer Tage mit mir herumzutragen.  

Ich hätte ihm die Worte gern an den Kopf geschleudert, doch ich hielt den Mund. Weil es sich nicht lohnte, die ewig anhaltende Diskussion fortzuführen. Weil das ein Thema war, das unausweichlich zu Streit führte. Also sagte ich stattdessen: „Okay, Nick. Ich weiß es zu schätzen, dass du so offen mit mir darüber redest.“ Ich sog meine Wangen ein und nickte. „Vielleicht sollte ich mir wirklich mehr Mühe geben. Und solange wir uns keine Vorwürfe machen und kritische Themen umgehen, bin ich davon überzeugt, dass wir die Gewöhnungsphase überstehen und unsere wunderbare Balance intakt bleibt.“

Nick runzelte die Stirn. „Vorwürfe? Ich mache dir keine Vorwürfe, Mia.“

Ich lachte und legte kurz den Kopf in den Nacken, bevor ich leise murmelte: „Na, das wäre ja auch noch schöner.“ Ich schritt an ihm vorbei und hob die Hand. „Man sieht sich, Nick! Ich habe einen Job zu ergattern.“

Eine Stunde später gehörte der Job als Küchenchefin des Catering-Service der San Antonio Lions mir. Morgen war mein erster Auftrag bei der Pre-Playoff-Party: Was bedeutete, dass ich Nick noch öfter als ohnehin schon sehen würde.

Jippie.

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