Love and Hockey 1: Dax & Lucy
Prolog
Lucy James wollte drei Dinge: Respekt, Erfolg … und zuallererst einen leeren Mülleimer, in den sie sich übergeben konnte.
Denn verdammt noch mal, sie war nervös! So nervös, dass ihr Magen die lächerlichsten Verrenkungen machte. Als besuche er als offensichtlicher Anfänger einen Yogakurs für Fortgeschrittene. Sie ballte ihre Finger zur Faust, um sie vom Zittern abzuhalten, während sie konzentriert tief ein- und so leise wie möglich durch den zu einem Lächeln verzogenen Mund wieder ausatmete. Damit die streng aussehende Frau mit kurzen grauen Haaren und rotumrandeter Brille vor ihr nicht mitbekam, dass sie kurz vor einer Panikattacke stand.
Leslie Forth war immerhin alles, was sie irgendwann mal sein wollte. Eine PR-Ikone! Vor dreißig Jahren die erste Frau in den USA, die Leiterin des PR- und Marketingteams einer Sportmannschaft geworden war. Nicht irgendeiner unbekannten Eishockey-Mannschaft, sondern der L.A. Hawks, die landesweit auf Cornflakespackungen gedruckt und dreifache Stanley-Cup-Gewinner waren. Ja, Leslie Forth war eine Pionierin in einer von Männern dominierten Welt und Lucy würde in ihre Fußstapfen treten.
Nachdem sie sich übergeben hatte. Und dann gründlich die Zähne geputzt. Vermutlich würde sie also erst morgen anfangen, die Macht des NHL-Marketings an sich zu reißen. Aber das war okay. Sie war jung, sie hatte Zeit … und bei Gott, sie musste sich entspannen! Sie hatte ihren Traumjob bereits bekommen, sie würden sie nicht direkt am ersten Tag wieder feuern.
Oder?
Oh Mann, wenn sie weiter nicht zuhörte, würde sie die Kündigung eh nicht mitbekommen.
»… verlieren Sie auf keinen Fall Ihren neuen Ausweis! Ohne haben Sie weder Zugang zur Parkgarage noch zu den Büroräumen.«
Lucy katapultierte sich zurück in die Gegenwart und räusperte sich vernehmlich. »Natürlich nicht«, antwortete sie sachlich und wischte die feuchten Handflächen an ihrem Bleistiftrock ab. »Ich werde darauf achtgeben. Aber machen Sie sich keine Gedanken, ich bin sehr sorgfältig.«
»Das behaupten viele der neuen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, aber plötzlich fällt Ihnen der Ausweis aus der Tasche, nur damit Sie einen mit neuem, hübscherem Passfoto bekommen, auf dem Sie die Augen offen haben oder lächeln.« Mrs Forth’ geschürzte Lippen gaben deutlich zu verstehen, dass sie nichts für solche Oberflächlichkeiten übrighatte.
»Mir ist herzlich egal, wie ich auf meinem Ausweisfoto aussehe«, versicherte Lucy ihr sofort.
»Wunderbar.« Genau das hatte ihre Chefin offenbar hören wollen, denn sie deutete ein Zähnefletschen an, das Menschen mit schlechter Sehstärke mit einem Lächeln verwechseln könnten. »Das Foto wird ohnehin eines Ihrer geringsten Probleme sein. Am schwierigsten wird der Umgang mit den Spielern.«
Lucy nickte. Zu dem Schluss war sie auch schon gekommen.
»Ich sag es mal ganz unverblümt: Die meisten von ihnen freuen sich nicht gerade darüber, herumkommandiert zu werden. Erst recht nicht von einer Frau. Aber es ist äußerst wichtig, sich nicht von ihnen beeindrucken zu lassen. Denn wenn die Spieler das Gefühl bekommen, dass Sie Angst vor ihnen haben oder sie anhimmeln, können Sie gleich einpacken. Dann bußen Sie jede Autorität ein. Haben Sie das verstanden?«
»Das wird kein Problem sein«, erwiderte Lucy fest. »Ich arbeite stets professionell und habe nicht vor, mich von ein paar Eishockey-Hünen einschüchtern zu lassen.«
Mrs Forth verengte die Augen. Unter dem kalten Licht der Neonlampen blitzten sie skeptisch auf, als versuche sie Lucy aus dem Gesicht abzulesen, ob sie log.
Ja, den Blick kannte Lucy bereits. Sie war mickrige ein Meter sechzig groß und sah für ihr Alter recht jung aus. Die meisten Leute nahmen sie erst einmal nicht ernst. Viele bekamen bei ihrem Anblick das Verlangen, Worte wie Süße und Kleines in den Mund zu nehmen und ihr den Kopf zu tätscheln. Es war unglaublich entnervend und bedeutete, dass sie sich immer doppelt so sehr hatte anstrengen müssen wie ihre Mitstreiter. Sie hatte klüger, professioneller, witziger und durchsetzungsfähiger als ihre Kommilitonen oder die arroganten, chauvinistischen Kollegen sein müssen. Immer höhere Schuhe, aber prüdere Kleidung als alle Frauen tragen müssen, mit denen sie je auf der Arbeit verkehrt hatte. Weil sie zu klein und ihre Hüfte sowie Brüste eine Spur zu ausladend waren und sie nur so ernstgenommen worden war. Das war nicht fair, aber die Wahrheit. Ebenso wie es die Wahrheit war, dass sie professionell bleiben und sich nicht einschüchtern oder um den Finger wickeln lassen würde.
Ja, sie liebteEishockey, und dass sie jetzt eng mit den Spielern zusammenarbeiten durfte, war teilweise der Grund für die flatternden Schmetterlinge in ihrem Magen. Aber nicht, weil sie sie anhimmelte und gern mit ihnen ins Bett hüpfen wollte. Sie würde niemals etwas mit einem Sportler anfangen, danach könnte sie ihre Karriere vergessen! Nein, sie freute sich, weil sie die harte körperliche Arbeit und Disziplin der Spieler respektierte. Weil sie verstand, was für Opfer nötig waren, um seine Ziele zu erreichen.
»In Ordnung«, sagte Leslie nachdenklich und blickte kurz auf das Klemmbrett in ihren Armen, bevor sie mit den Fingern darauf trommelte. »Nun, Ihr Lebenslauf ist sehr beeindruckend, ich frage mich nur …«
»Ja?«, hakte sie vorsichtig nach.
»Wissen Sie was? Ich werfe Sie direkt ins kalte Wasser. Dann werden wir ja sehen, ob Sie schwimmen oder nicht.« Zufrieden über diese Entscheidung nickte Mrs Forth. »Was halten Sie davon?«
Lucy schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, nickte jedoch ebenfalls. »Sicher.« Sie war beeindruckt davon, wie überzeugend dieses Wort aus ihrem Mund kam, denn die Schmetterlinge in ihrem Magen hatten sich in aggressive Krähen verwandelt. Aber sie hatte doch nur darauf gewartet, sich beweisen zu dürfen, oder? Besser jetzt als nie. »Was genau ist denn das kalte Wasser, wenn ich fragen darf?«
Sie rechnete mit dem Schlimmsten. Spontan eine Pressekonferenz leiten. Sich eine Idee für eine Werbekampagne aus dem Ärmel schütteln. Innerhalb einer halben Stunde im L.A.-Nachmittagsverkehr irgendwo einen nicht-grünen Smoothie besorgen. Solche Dinge der Unmöglichkeit eben.
Doch aus Mrs Forth’ Mund kamen nur zwei Worte: »Dax Temple.«
Irritiert zog sie die Augenbrauen zusammen. »Der Spieler? Der Flügelstürmer der Hawks?« Sie stöhnte innerlich angesichts ihrer dämlichen Frage. Denn natürlich meinte Mrs Forth den derzeit erfolgreichsten Stürmer der NHL und nicht etwa eine neuartige Religion!
Mrs Forth nickte ernst und reichte ihr das Klemmbrett. »Ja. Ich will, dass Sie Dax Temple auf seine Pressekonferenz in einer Stunde vorbereiten. Hier sind die Dinge aufgelistet, über die er reden darf, und hier die, die er besser für sich behalten sollte.« Sie tippte auf besagte Punkte.
»Okay«, sagte Lucy langsam. Einen Spieler für eine Pressekonferenz zu briefen, hörte sich nur halb so wild an. »Kein Problem.«
Die Mundwinkel der älteren Frau zuckten, als hätte Lucy gerade etwas sehr Witziges gesagt. »Das ist die richtige Einstellung. Aber ich will ehrlich sein, Dax ist etwas … kompliziert.« Sie räusperte sich. »Er lässt sich nicht gern sagen, was er zu tun und zu lassen hat. Außerdem ist heute sein Geburtstag und das ist immer ein … schwieriger Tag. Aber wenn Sie mit ihm zurechtkommen, muss ich mir keine Sorgen mehr machen, dass Sie gut in die Organisation passen.«
Mir verengten Augen sah Lucy ihre Chefin an.
Dax Temple war schwierig? Was sollte das denn bedeuten? Doch bevor sie den Mund öffnen und nachfragen konnte, trat Mrs Forth bereits einen Schritt zurück.
»Er müsste oben im Besprechungsraum C sitzen. Am besten gehen Sie sofort, damit er nicht warten muss.«
Lucy blieb nichts anderes übrig, als wieder zu lächeln und zu nicken. Das hier war ein Test. So viel hatte sie verstanden. Das war ihre Chance, zu brillieren. Ihren Platz im PR-Team zu festigen und ihren Boss zu beeindrucken. Und zur Hölle, das würde sie tun!
»Kein Problem«, wiederholte sie leichthin und machte sich auf den Weg zu den Treppen. Die Krähen in ihrem Magen beruhigten sich und die Übelkeit verschwand. Es war die Unsicherheit, die sie verrückt machte. Doch jetzt, da sie eine klare Anweisung hatte, fühlte sie sich schon besser. Sie hatte eine Aufgabe bekommen, die sie zur Zufriedenheit ihrer Chefin erledigen würde. Punkt.
Doch als sie Besprechungsraum C erreichte, stellte sie verblüfft fest, dass er leer war. Kein breitschultriger Eishockeyspieler in Sicht. Stirnrunzelnd trat sie zurück in den Flur, sah den Gang auf und ab und bemerkte einen blonden, großen Mann in Sportshorts und L.A. Hawks-Trikot, der auf sie zukam. Hastig lief sie ihm entgegen.
»Entschuldigung, vielleicht können Sie mir ja helfen. Ich suche Dax Temple.«
Als der Spieler stehen blieb, erkannte sie ihn als Matthew Payne, ebenfalls Flügelstürmer und laut den Medien Dax’ bester Freund. Jackpot!
Er sah einmal kurz an ihr hinab – was aufgrund ihrer Größe nicht lang dauerte –, bevor er laut schnaubte. »Glaub mir, wenn ich dir sage: Nein, tust du nicht.«
Sie blinzelte verwirrt. »Ähm, doch.«
»Okay, Vielleicht suchst du ihn – aber du möchtest ihn nicht finden.«
»Doch«, beharrte sie. »Das ist mein Ziel.«
Der Typ verengte die Augen und sah ihr forschend ins Gesicht. »Du bist neu hier, oder?«
Sie räusperte sich und strich sich fahrig eine rote Strähne hinters Ohr. »Ja, ich habe gerade in der PR-Abteilung angefangen. Heute ist mein erster Tag, aber …«
»Okay, dann lass mich dir einen Tipp geben«, unterbrach er sie und beugte sich mit eindringlichem Blick vor. »Quasi als Einstandsgeschenk: Wenn du ein langes, glückliches Leben führen willst, sprich Dax an seinem Geburtstag einfach nicht an.«
»Aber für mich gehört zu einem glücklichen Leben, dass ich diesen Job behalte, und dafür muss ich ihn auf eine Pressekonferenz vorbereiten«, erwiderte sie verblüfft. »Es ist meine erste Aufgabe. Die kann ich nicht vermasseln.«
Payne zog eine Grimasse und kratzte sich den Nacken. »Shit. Miese erste Aufgabe. Hat Leslie sie dir gegeben? Sie muss ja große Hoffnung in dich legen.«
Lucy wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Stattdessen sagte sie nur: »Könntest du mir einfach verraten, wo er ist?«
Der Spieler stieß einen Schwall Luft aus, nickte jedoch. »Schön. Das Arschloch ist im Fitnessraum.« Er deutete den Gang runter. »Dritte Tür links. Viel Glück dir.«
»Okay«, antwortete Lucy, mittlerweile etwas beunruhigt. »Danke.«
»Bedank dich nicht bei mir«, meinte er kopfschüttelnd. »Im Gegenteil. Ich schulde dir einen Drink dafür, dass ich dir verraten habe, wo du ihn findest.« Er hob die Hand und lief dann in die entgegengesetzte Richtung davon.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah sie ihm nach. Das war seltsam gewesen, oder?
Warum sollte Payne seinen besten Freund als Arschloch bezeichnen? Vielleicht hatte die PR-Abteilung das mit der Freundschaft der Presse nur gesteckt, weil es mehr Karten und Trikots verkaufte, wenn die Spieler wirklich befreundet waren. Was wusste sie schon. Es war auch irrelevant. Sie hatte eine Aufgabe zu erledigen. Und so schlimm konnte Dax Temple nicht sein. Sie hatte eine Menge Interviews mit ihm gesehen und da hatte er immer freundlich und witzig gewirkt. Klar, er war auch für seine Bettgeschichten und die teilweise ausartende Rivalität mit Jack West bekannt, aber welcher NHL-Spieler hatte keine kleinen Schwächen? Nein, sie kannte den Stürmer nicht und würde ihm ohne Vorbehalte entgegentreten. So viel Respekt und Güte hatte jeder Mensch verdient.
Zufrieden reckte sie das Kinn, lief den Flur hinab und hielt vor dem Fitnessraum inne. Die Tür war geschlossen, also klopfte sie.
Niemand antwortete.
Sie klopfte erneut, diesmal lauter. Sie hörte deutlich ein gleichmäßiges Stampfen hinter der Tür. Vielleicht trug Mr Temple ja Kopfhörer und antwortete deswegen nicht? Sie beschloss, dass es einen Versuch wert war, und öffnete die Tür.
Eine Reihe von Laufbändern, Hantelbänken, Beinpressen und anderen Geräten kam zum Vorschein. Oh Mann. Fitnessraum war die Untertreibung des Jahrhunderts. Fitnesshalle würde viel eher passen. Eine Fensterfront, durch die der kalifornische Sommerhimmel zu sehen war, zierte die eine Seite, weiße Wände die anderen. Hier auf den Geräten fand bestimmt der ganze Kader der L.A. Hawks Platz. Doch jetzt waren sie alle leer. Bis auf ein einziges Laufband zu ihrer Rechten, direkt an der Wand, von dem das gleichmäßige Stampfen herrührte.
Lucy stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die anderen Geräte hinwegzusehen. Ihr Herz sprang ihr in den Hals, als sie den ersten Blick auf den Mann erhaschte, der unbarmherzig das Laufband malträtierte.
Jap, das war Dax Temple. Eins achtundachtzig großer Muskelmann mit dunklen Haaren, die sich über seine Ohren wellten, und einem Fünftagebart, dem nur noch ein paar Millimeter fehlten, um vorsichtige alte Damen die Straßenseite wechseln zu lassen. Er sah besser aus als im Fernsehen. Und das selbst von Weitem. Was vielleicht auch daran lag, dass er kein Shirt trug. Ganz vielleicht. Denn heidewitzka!
Sixpacks sahen in Wirklichkeit so viel beeindruckender aus als im Fernsehen! Bei denen vermutete Lucy jedes Mal, dass sie gephotoshoppt waren. Doch diese Muskeln waren sehr real.
Ihr Puls schoss in die Höhe – denn natürlich war sie professionell, aber eben auch eine Frau mit zwei Augen –, also reckte sie das Kinn noch ein wenig höher. Sie war froh, an ihrem ersten Arbeitstag High Heels mit zwölf Zentimeter Absatz zu tragen statt der üblichen acht. Die gaben ihr immer noch etwas mehr Selbstbewusstsein. Doch an den Anblick von halbnackten, muskulösen Männern würde sie sich ohnehin gewöhnen müssen.
Sie umrundete das letzte leere Laufband und blieb direkt vor Dax Temple stehen. Er trug keine Kopfhörer, fiel ihr auf. Hörgeräte ebenso wenig. Er hatte also keine Ausrede dafür, dass er sie immer noch nicht ansah.
Sie räusperte sich.
Er reagierte nicht.
»Hallo«, sagte sie freundlich. »Ich bin Lucy James, ich bin neu in der PR-Abteilung.« Sie streckte die Hand aus und wartete darauf, dass er das Laufband abstellte oder zumindest die Hand zur Begrüßung hob.
Er tat nichts dergleichen. Er hob nicht einmal den Blick. Stattdessen starrte er stur auf die Anzeige des Laufbandes und joggte weiter.
Irritiert zog sie die Augenbrauen tiefer ins Gesicht und fragte sich, was sein Plan war. Sie würde sicher nicht einfach wieder gehen, wenn er kein Lebenszeichen von sich gab.
Mittlerweile zog sich die Stille zwischen ihnen zäh in die Länge, sodass Lucys kleiner Finger nervös zuckte. Also räusperte sie sich erneut und sagte: »Ach, übrigens: Herzlichen Glückwunsch z…«
»Wenn du mir jetzt zum Geburtstag gratulierst, schlag ich dir beim nächsten Spiel einen Puck gegen den Kopf«, unterbrach er sie, seine Stimme dunkel und staubtrocken. »Es wird wie ein Unfall aussehen. Aber du wirst wissen, dass es Absicht war.«
Perplex weitete sie die Augen. »Ich … was?« Sie musste sich verhört haben.
Doch Temple antwortete nicht. Er wandte wieder das Gesicht ab, stellte das Laufband höher und beschleunigte seinen Schritt. Er lief nun laut Anzeige zwölf Stundenkilometer und fing nicht einmal an zu schnaufen.
Liebe Güte, wenn Lucy schneller als Schrittgeschwindigkeit lief, hielten ja schon Autos am Straßenrand an und sie wurde gefragt, ob sie einen Krankenwagen brauchte! Aber das tat jetzt überhaupt nichts zur Sache, denn: Hatte er gerade damit gedroht, sie zu verletzen? Nein, das musste ein Scherz gewesen sein. Humor … den sie ehrlich gesagt nicht ganz verstand. Aber gut. Das passierte. Mit manchen Menschen war sie eben einfach nicht auf einer Wellenlänge. Kein Drama.
»Ähm, Mr Temple, hat Ihnen niemand gesagt, dass Sie jemand aus der PR-Abteilung in Besprechungsraum C erwartet? Um Sie auf die Pressekonferenz in einer Stunde vorzubereiten?«, hakte sie vorsichtig nach.
»Doch«, antwortete er knapp und kratzte sich die Brust.
»Oh. Ich dachte nur, da der Raum leer war … haben Sie die Zeit vergessen?« Sie hatte gehört, das passierte manchen Menschen, wenn sie Sport machten. Sie konnte das nicht bestätigen. Sie und Sport waren auch nicht auf einer Wellenlänge.
»Nein.«
»Oh«, wiederholte sie und hasste es, wie dümmlich sie sich dabei anhörte. Aber wie in Gottes Namen sollte sie auch reagieren? Jetzt gerade hörte es sich nämlich an, als habe er absichtlich den Termin versäumt.
»Mr Temple«, versuchte sie es aufs Neue und gab sich Mühe, die Ungeduld aus ihrer Stimme zu filtern. »Egal, ob Sie den Termin verpasst haben oder nicht – ich habe Sie ja Gott sei Dank dennoch gefunden und wir können die Pressekonferenz sehr gern hier besprechen.«
»Gott sei Dank«, wiederholte er hölzern und blickte abwesend auf einen Punkt am Boden. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Matt sei Dank heißen müsste, aber in Ordnung. Ich will dir deinen Glauben nicht absprechen.«
Lucys Blick folgte automatisch dem von Dax Temple … und sie stutzte. Vor dem Laufband stand eine Torte. Eine Torte, die aussah, als wäre sie im falschen Teil der Stadt durch eine dunkle Gasse gestreunt. Denn sie war scheinbar einer Straßengang zum Opfer gefallen. Oder zumindest einer Faust.
Mit offenem Mund starrte Lucy erst das zerknautschte Sahnemonstrum, dann Temple an. »Haben Sie die Torte vermöbelt?«, fragte sie perplex.
»Nein, natürlich nicht. Denn das wäre wahnsinnig. Was ich offensichtlich nicht bin«, erwiderte er, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Aber warum ist dann dort ein Faustabdruck dr…«
»Meine Fresse, Lady«, unterbrach er sie genervt. »Warum stehst du immer noch hier?«
Sie schluckte und drückte das Klemmbrett an ihre Brust. »Wie ich schon sagte: Ich bin hier, um die Pressekonferenz in einer Stunde …«
»Ich habe Ohren, ich weiß, warum du hier bist! Meine Frage ist, warum du nicht wieder gehst!«
»Wegen der Pressekonferenz«, beharrte sie, diesmal lauter, da seine Ohren offensichtlich nicht funktionierten. »Ich muss mit Ihnen durchgehen, welche Themen Sie umschiffen sollten und welche Sie näher ausführen dürfen. Abgesehen davon heiße ich nicht Lady. Ich bin Lucy James. PR-Assistentin.«
Er seufzte schwer und das erste Mal seit gefühlt zwei Stunden sah er ihr direkt ins Gesicht. Seine Augen waren blau, fiel ihr auf. Eisblau. Sein Blick so intensiv und düster, dass sie gern einen Schritt zurückgestolpert wäre. Aber ihre Schuhe waren nicht zum Stolpern geeignet, wenn sie sich keinen Knöchel brechen wollte, also ließ sie es.
»Lucy James«, wiederholte er gedehnt, so als müsse er sich den Namen auf der Zunge zergehen lassen, bevor er entschied, ob er ihn mit einem Happs verschlingen wollte oder nicht. »Schön, Lucy James. Lass mich dir eine Frage stellen: Was muss ich tun, damit du endlich gehst und mich in Ruhe lässt?«
»Nun, wie ich bereits sagte«, bemerkte sie überrascht. »Ich soll mit Ihnen die anstehende Pressekonferenz vorbereiten und wollte Sie briefen, was Sie sagen und was Sie nicht sagen dürfen.«
»Darf ich sagen, dass du nervst?«
Sie lachte nervös auf. »Nein. Ich habe hier eine Liste, auf der genau steht …«
»Was ich sagen darf und was ich nicht sagen darf, schon verstanden«, unterbrach er sie, bevor er mit verengten Augen ihre Statur musterte. »Du wiederholst dich. Seit fünf Minuten erzählst du mir immer wieder dasselbe. Soll ich lieber einen Arzt rufen? Möglicherweise hast du ja einen Schlaganfall.«
Sie presste die Lippen zusammen. Dax Temple ist kompliziert hatte Leslie Forth gesagt. Sie konnte ihrer Chefin nicht zustimmen. Ihn kompliziert zu nennen, war einfach diskriminierend gegenüber dem Begriff kompliziert.
»Mir geht es blendend«, sagte sie gepresst. »Danke der Nachfrage.«
»Kein Problem. Ich bin stets um die Sprachkompetenz unserer Mitarbeiter besorgt. Es gibt so viele schöne Worte und es wäre doch sehr schade, wenn du immer nur dieselben benutzt, oder?«
Oh, Lucy wusste, welche zwei Worte sie gern benutzen wollte, aber dann würde man womöglich ihre Professionalität anzweifeln. »Mr Temple«, sagte sie mit Nachdruck. »Können wir jetzt endlich anfangen?«
Er zog eine Grimasse und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ehrlich gesagt fühle ich mich nicht wohl dabei, all diese privaten Sachen mit einer Praktikantin zu besprechen.«
»All diese privaten Sachen, die Sie gleich mit zwanzig Journalisten teilen wollen?«, fragte sie scharf.
»Ja, genau die.«
»Nun, dann ist es ja gut, dass ich keine Praktikantin bin.«
Skeptisch zog er die Brauen zusammen. »Bist du sicher? Du siehst sehr jung aus.«
»Ich bin fünfundzwanzig.«
»Ich glaube, da haben deine Eltern dich angelogen, Luna«, meinte er bedauernd. »Du bist höchstens zwölf.«
»Lucy. Mein Name ist Lucy«, erwiderte sie tonlos.
»Warum stellst du dich mir dann als Luna vor?«, wollte er irritiert wissen.
»Ich habe nicht …« Sie brach ab und blinzelte.
Denn nein. Das war kein Humor. Das war … alles andere als das. Ihre Wellenlänge war definitiv nicht das Problem! Trotzdem behielt sie ihr Lächeln auf dem Gesicht. Professionell. Sie musste professionell bleiben.
»Weißt du was, Dax, ich fange jetzt einfach an.« Die Höflichkeitsform hatten nur Leute verdient, die höflich waren. Also verzichtete sie darauf. »Es dauert auch gar nicht lang, wir müssen die Punkte nur einmal kurz durchgehen.«
Sie zog das Klemmbrett von ihrer Brust, blickte auf die Liste hinab – und lief augenblicklich tiefrot an.
Erst jetzt ging ihr auf, dass es ein Fehler gewesen war, das Klemmbrett nicht vorab zu studieren. Denn einige der Punkte, die dort standen … Nein, das war lächerlich. Mr Temple würde doch auf keinen Fall auf die Idee kommen, der Presse so etwas zu verraten. Jeder Mensch wusste, dass das eine dumme Idee war und eine schrecklich skandalöse Schlagzeile zur Folge hätte! Aber es stand auf der Liste, also … Shit.
»Nun«, begann sie vorsichtig, sodass ihre Stimme beinahe unter Dax’ lauten Schritten auf dem Laufband unterging. »Es ist ja offensichtlich, dass du der Presse nicht verraten kannst, mit wie vielen Frauen du exakt geschlafen hast, richtig? Das müssen wir, denke ich, nicht näher erläutern.«
»Aber es sind fünfundfünfzig«, sagte er langsam. »Ich habe gestern extra alle Frauen abgewiesen, damit es dieselbe hübsche Zahl bleibt. Wenn ich es unerwähnt lasse, hätte ich gestern völlig umsonst auf einen Orgasmus verzichtet. Das kommt mir wie Verschwendung vor.«
Ihr Mund wurde trocken und ihre Wangen brannten wie ein Osterfeuer. Das hatte er gerade nicht wirklich gesagt.
»Bist du Jungfrau, Luna?«, fragte er interessiert.
Sie verschluckte sich fast an ihrer eigenen Spucke. »Entschuldigung?«
»Na ja, nur eine Jungfrau kann bei dem Gedanken an Sex so unfassbar rot werden. Aber jetzt, da ich darüber nachdenke, ist es vielleicht besser, wenn deine Blume noch unberührt ist. Mit zwölf Sex zu haben, ist wirklich viel zu früh.« Vielsagend hob er die Augenbrauen, zog eine Wasserflasche aus der Halterung und öffnete sie.
Lucy starrte ihn an … und ein Knoten bildete sich in ihrer Brust. Ein roter, heißer Knoten aus Wut und Verachtung.
Für wen zum Teufel hielt sich dieser Vollidiot?
Sie war freundlich und zuvorkommend und professionell gewesen, und er stand da, musterte sie herablassend und machte sich über sie lustig?
Er nahm sie nicht ernst. Er brachte ihr keinen Respekt entgegen. Und wenn sie eines wirklich hasste, dann wenn irgendwer ihr das Gefühl gab, einen schlechten Job zu machen. Wenn jemand es ihr unmöglich machte, gute Arbeit zu leisten und zu beweisen, was in ihr steckte.
Sie krallte die Fingernägel in das Holz des Klemmbretts.
… wenn sie das Gefühl bekommen, dass Sie Angst vor ihnen haben oder sie anhimmeln, können Sie gleich einpacken,hallte Leslie Forth’ Stimme in ihrem Kopf wider.
Oh, sie hatte keine Angst vor Dax Temple. Und sie hatte kein Problem damit, ihm das zu beweisen.
»Meine Zahl ist elf, Mr Temple, aber ich fühle mich trotzdem nicht dazu berufen, es einem Journalisten zu erzählen«, sagte sie kühl.
Dax verschluckte sich an seinem Wasser und spuckte es auf das Display des Laufbandes.
Lucy lächelte freundlich. Das war befriedigender als ihre fiktive Nummer elf.
»Elf?«, hustete er ungläubig.
»Dieser schockierte Ausruf aus dem Mund von Mr Fünfundfünfzig?«, erwiderte sie gelassen. »Sicher, dass die Zahl nicht gelogen und du bei minus zwei Sexualpartnerinnen bist?«
»Minus zwei?« Er verengte die Augen. »Wie soll das gehen?«
»Na ja. Wenn ich eine schlechte Performance in der Kiste hingelegt habe, ziehe ich persönlich immer ein paar Punkte ab. Und wenn man so ein Großkotz ist wie du, kann man nur etwas anderes kompensieren wollen.« Sie zuckte die Schultern. »Davon würde ich nicht freiwillig erzählen. Also, können wir uns darauf einigen, dass niemand von uns einer weiteren Seele seine Liste an Sexualpartnern gibt, ja? Das wäre super.« Sie nickte zufrieden und strich den ersten Punkt auf der Liste durch.
Er lachte trocken auf. »Hast du gerade impliziert, dass ich schlecht im Bett bin?«
»Ich habe nichts impliziert. Wenn überhaupt, habe ich es festgestellt«, erwiderte sie tonlos. »Kommen wir zu Punkt zwei: Du wirst auf gar keinen Fall das Wort Pussy benutzen, selbst wenn sich Mitglieder des gegnerischen Teams wie eine weibliche Katze verhalten sollten. Du wirst nicht halbnackt bei der Konferenz aufkreuzen, nur um danach eine Journalistin abzuschleppen, die deine Muskeln ach so toll findet. Und unter keinen Umständen ist es dir erlaubt, den Namen Jack West in den Mund zu nehmen, ihn mit einem Mittelfinger oder dem Wort Wichser oder Hurensohn zu kombinieren, haben wir uns verstanden?«
»Es ist mir also verboten, die Wahrheit zu sagen?«, schlussfolgerte Dax und neigte nachdenklich den Kopf. »Alles, was meine Mutter mir je beigebracht hat, ist also Schwachsinn?«
»Ich hoffe nicht. Aber alles, was du innerhalb der letzten zehn Minuten von dir gegeben hast, ist Schwachsinn«, stellte sie scharf fest.
Er lächelte breit. »Vielen Dank. Ich habe mir Mühe gegeben und hatte Angst, dass das nicht rüberkommt.«
Sie stöhnte laut auf und legte den Kopf in den Nacken. »Meine Güte, nimmst du überhaupt irgendetwas ernst?«, fuhr sie ihn an. »Ich für meinen Teil tue es und ich gebe dir einen Tipp: Komm über dein Jack West-Problem hinweg. Ich weiß ja, dass ihr beide eine dämliche Rivalität miteinander habt.« Jeder, der sich für Eishockey interessierte, wusste das! Seit Dax Temple vor etlichen Jahren als arroganter Rookie in die NHL gekommen war und mit großer Klappe verkündet hatte, dass Jack West »ein überbezahlter Eis-Troll mit Hackfresse« war – und ebendieser ihn bei seinem ersten Spiel vor dem ganzen Stadion vorgeführt hatte, gönnten die beiden sich nichts mehr auf dem Eis. »Aber Jack West ist äußerst beliebt und es schadet deinem Image, dass du ihn nicht magst. Schön, dann hat er eben bei deinem ersten Spiel der ganzen Welt bewiesen, dass du noch nicht reif genug warst, um mit einer gestandenen Größe wie ihm zu konkurrieren. Aber das ist Jahre her und du solltest nicht mehr nachtragend sein. Du hast den Streit damals schließlich angefangen. Jack West ist ein netter Kerl – und niemand kann verstehen, warum du ihn immer noch hasst! Warum er dich hasst hingegen …« Sie hob die Schultern. »Mir fallen direkt ein, zwei Gründe ein.«
Das Lächeln wich von Dax Temples Gesicht. »Du weißt nichts über mich und Jack West«, sagte er, seine Stimme auf einmal gefährlich leise. »Also, hör auf von Dingen zu sprechen, die du nicht verstehst. Und ja, ich nehme etwas ernst. Und das ist die Tatsache, dass ich mir von kleinen PR-Ladys, die noch grün hinter den Ohren sind, nicht den Mund verbieten lasse. Richte Leslie aus: Wenn sie will, dass ich an meinem beschissenen Geburtstag eine Pressekonferenz halte, dann werde ich sagen, was ich will und wie ich es will. Und es ist egal, wie hoch deine Schuhe sind, wie sehr du dein Kinn reckst und wie tapfer du mir irgendwelche Sprüche reindrückst: Wir beide wissen, du gehörst hier nicht her. Wenn du mit Eishockeyspielern rumhängen willst, empfehle ich dir die Ice Lounge – das ist die Bar, in der man alle anderen Groupies findet.«
Lucys Magen zog sich zusammen, doch sie setzte ein süßliches Lächeln auf und trat einen Schritt zurück. »Wie sagtest du noch so schön: Du weißt nichts über mich oder wo ich hingehöre. Aber ich denke, das wäre alles für heute. Ich freue mich schon sehr auf das nächste Treffen, Dax. Du bist genau so charmant, wie die Presse behauptet.«
Damit wandte sie sich um und bewegte sich in Richtung Tür.
»Danke sehr, Luna!«, rief er ihr nach. »Ich gebe dir zwei Wochen, dann kündigst du.«
Abrupt blieb sie stehen und wirbelte herum. »Herzlichen Glückwunsch«, sagte sie feierlich und schlenderte zurück zu dem Laufband, das er noch immer mit seinen Füßen bearbeitete.
»Habe ich dir nicht verboten, mir zum Geburtstag zu gratulieren?«, knurrte er.
»Oh, ich hab nicht zum Geburtstag gratuliert«, stellte sie klar und blieb vor ihm stehen. »Sondern dafür, dass du definitiv das größte Arschloch im ganzen Stadion bist. Das ist es doch, was du mir gerade beweisen wolltest, oder? Also: Gratulation. Du magst noch nie einen Stanley Cup gewonnen haben, ganz im Gegensatz zu Jack West, aber zumindest den Titel hast du sicher … Ach, ja: Noch etwas.« Sie hob die Hand und schlug mit der Faust auf den roten Stopp-Knopf des Laufbands.
Es kam zum abrupten Stillstand. Dax Temple nicht.
Mit einem lauten »Uff« rannte er gegen das Display, bevor er vom plötzlichen Aufprall nach hinten taumelte und wie ein Sack Kartoffeln zu Boden fiel.
Lächelnd sah sie auf ihn hinab. »Es ist unhöflich, halbnackt und unkonzentriert ein Businessmeeting abzuhalten. Falls dir das nicht klar war, weil du etwas grün hinter den Ohren bist – jetzt weißt du es.«
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich auf dem Absatz um und stolzierte aus dem Raum.
Das hier war ihr verdammter Traumjob. Sie würde bleiben. Sie würde erfolgreich sein. Sie würde allen beweisen, dass sie Respekt verdiente. Und sie würde es sich nicht von einem arroganten Vollpfosten wie Dax Temple kaputtmachen lassen.
Sie stieß die Tür auf und warf sie geräuschvoll wieder zu. Wo zur Hölle war Matthew Payne? Er schuldete ihr verdammt noch mal einen Drink!
*Die mit * gekennzeichneten Links sind sogenannte Affiliate Links. Kommt über einen solchen Link ein Einkauf zustande, werde ich mit einer Provision beteiligt. Für dich entstehen dabei keine Mehrkosten. Wo, wann und wie du ein Produkt kaufst, bleibt natürlich dir überlassen.