Ein bisschen Gefühl, bitte! – Leseprobe

Kapitel 1

Liebe ist wie ein Schlag in den Magen. Wie ein Blitz, der dich trifft. Du kriegst keine Luft mehr und weißt: Dein Leben wird nie wieder dasselbe sein.

Jonathan Walker über die Liebe

Jon Walker war ein netter Kerl.

Er war ein gut aussehender Mann. Ein engagierter Ex-Soldat. Ein kluger Geschäftsmann. Er war ein hingebungsvoller Bruder und er war ein guter Freund.

Doch zurzeit war er vor allem eines: unzufrieden. Nicht zu vergessen genervt.

Und das, obwohl er ein Steak auf seinem Teller sowie eine Bierflasche in der Hand hatte und ihm gegenüber eine hübsche Frau saß.

»… und Mr. Schnurrig mag es überhaupt nicht, wenn ihn jemand anderes streichelt als ich. Ich schätze, es ist eine Liebeserklärung an mich, aber leider ist es dadurch unglaublich schwer, in den Urlaub zu fahren …«

Er hatte so große Hoffnungen gehabt. Julie hatte sich auf ihrem Datingprofil so vielversprechend angehört. Jon war sogar positiv überrascht worden, als sie zur Tür hereingekommen war, denn sie war noch hübscher als auf ihrem Foto.

»… und Blacky ist noch so ein Problemkind, mit ihm möchte ich gar nicht erst anfangen. Wirklich, ich sollte nicht über ihn reden.« Sie lachte glockenhell auf, warf ihre seidigen, braunen Haare über die Schulter – und tat es trotzdem. »Aber er ist so ein süßer Fratz. Gestern hat er …«

Jon schaltete ab. Das war nicht fair. Julie hatte nirgendwo auf ihrem Profil vermerkt, wie unfassbar langweilig sie war.

Wenn er die Wahl hätte, würde er gerade lieber am Fenster stehen und einer Schneeflocke dabei zusehen, wie sie am Glas hinabglitt. Das sollte um einiges interessanter sein, als Julie auch nur eine weitere Sekunde zuzuhören.

»… aber er liebt Wollknäuel wirklich. Ich schwöre dir …«

Oh, großer Gott. Jon mochte Katzen. So sehr man ein Tier, das eine Menge Zeit damit verbrachte, sich selbst zu lecken, eben mögen konnte. Er könnte dennoch darauf verzichten, eine halbe Stunde lang Fotos von den Tieren gezeigt und süße Anekdoten erzählt zu bekommen.

Er setzte seine Bierflasche erneut an die Lippen, nur um zu bemerken, dass sie leer war.

Nein, das war inakzeptabel. Er trank eigentlich nie besonders viel – aber vielleicht wurde es Zeit, damit anzufangen.

Ruckartig stand er auf. »Ich brauche einen Drink, du auch?«, fragte er freundlich und zwang sich zu einem Lächeln.

Verwundert stockte Julie mitten im Satz und sah blinzelnd zu ihm auf. »Ähm, ja, gern, aber … sollen wir nicht einfach auf die Kellnerin warten?«

Auf gar keinen Fall. Die Zeit hatten seine Nerven nicht. »Ich bin sehr durstig«, antwortete er knapp, drehte sich um und schob sich hastig zwischen den Tischen hindurch in Richtung Bar, bevor Julie ihn davon abhalten konnte.

Shit, sein Kumpel Seth hatte recht. Internet-Dating war vom Teufel erfunden worden, damit die Menschen sich schon auf der Erde ein Bild von der Hölle machen konnten.

Jon fuhr sich durch die kurzen Haare und lauschte der sanften Jazzmusik, die aus den Lautsprechern des Sullivan’s drang, der einzigen Bar in ganz Eden Bay. Vielleicht könnte er Jared, den Inhaber des Ladens, darum bitten, sie lauter aufzudrehen … und durch Heavy Metal zu ersetzen. Dann würde er Julies Katzenanekdoten womöglich nicht mehr hören oder zumindest ein paar Details verpassen.

Er stieß frustriert einen Schwall Luft aus und stützte sich mit den Armen auf den Tresen, während er die Theke nach Jared absuchte. Doch der war nirgends zu entdecken.

»Anstrengender Tag?«

Jon blinzelte und wandte sich zur Seite. Norah, Jareds bessere Hälfte, saß an der Theke neben ihm, einen Laptop und eine Portion Nachos vor sich.

»Nein. Anstrengendes Date«, murmelte er und rieb sich die Stirn.

»Ah.« Sie sah sich verstohlen über die Schulter um. »Die hübsche Brünette, die gerade kichernd auf ihr Handy starrt?«

»Ja. Vermutlich guckt sie sich noch immer die Bilder ihrer Katzen an«, erwiderte er trocken. »Und wo ist Jared? Ich brauche Bier. Zwei Flaschen.«

»Jared steht heute am Herd, aber ich kann es dir holen«, sagte sie lächelnd und sprang von ihrem Hocker, um hinter den Tresen zu schlüpfen. »Er mag es eigentlich nicht, wenn ich hinter der Theke bin, aber was er nicht weiß …« Sie zuckte die Achseln und bückte sich zum Kühlschrank runter. »Hey, hast du eigentlich schon Romeo und Julia für nächste Woche ausgelesen?«

»Gott, nein.«

Romeo und Julia war das Buch, das sie zurzeit in ihrem Buchclub behandelten. Es war die Idee seiner Schwester Sky gewesen, die eine Schwäche für Shakespeare hatte, und niemand hatte sich die Blöße geben wollen, zuzugeben, nichts für klassische englische Literatur übrigzuhaben. Auch wenn alle es gedacht hatten, da war Jon sich sicher.

»Ich werde mir die Woche einfach den Film ansehen und so tun, als hätte ich es gelesen. Wo genau treffen wir uns nächsten Sonntag eigentlich?«

»Bei Mallory«, meinte Norah und tauchte wieder aus der Versenkung auf, bevor sie zwei Flaschen vor ihm abstellte. »Sie meinte, wir können ab drei kommen und jeder, der kostümiert erscheint, kriegt eine Extra-Zimtschnecke.«

Jon lachte leise und griff nach den Flaschen. »Das gebe ich an Seth weiter. Der kommt auf jeden Fall als Romeo.«

Norah grinste. »Ich freu mich drauf. Meiner Meinung nach sollten wir uns immer bei Mall treffen. Sie hat mehr Platz und ist die beste Gastgeberin.«

Damit hatte sie recht. Jon hatte außerhalb des Buchclubs nicht allzu viel mit der Café-Schrägstrich-Bäckereibesitzerin zu tun, aber immer, wenn sie da war, brachte sie irgendetwas Süßes mit. Das war eine Eigenschaft, die er zu schätzen wusste.

»Wir sehen uns dann ja da«, sagte er und nickte ihr zu. »Danke fürs Bier und schönen Samstagabend dir noch. Ich will mein … mein Date nicht warten lassen.« Er schaffte es nur unter größter Anstrengung, sein Gesicht dabei nicht zu verziehen.

Norah sah ihn mitfühlend an. »Tut mir leid, dass das Treffen blöd läuft«, murmelte sie und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.

Er seufzte, zuckte jedoch die Achseln. »Ich muss es zumindest versuchen, oder nicht?«

Denn wie sollte er seine Traumfrau finden, wenn er mit niemandem ausging?

»Da hast du wohl oder übel recht. Aber keine Sorge, du bist ein toller Typ. Du findest schon noch jemanden. Irgendwann.«

Düster sah er sie an. »Das hilft nicht, Norah. Irgendwann kann ein sehr weit entfernter Zeitpunkt sein.«

»Aber das muss er nicht«, erinnerte sie ihn mit erhobenem Finger. »Ich weiß, wovon ich rede. Ich verdiene mein Geld damit, Leute zu verkuppeln.«

»Fiktive Leute in fiktiven Geschichten!«

Sie grinste und wandte sich wieder ihrem Laptop zu. »Lirum, larum. Aber weißt du was? Vielleicht nutze ich dein miserables Date als Einführungsszene meines neuen Romans.«

Jon bekam ein ungutes Gefühl. »Mir wäre es lieber, wenn du das lassen würdest.« Vorsichtig sah er über ihre Schulter auf den Laptop. »Über was genau schreibst du denn gerade?«

Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß es noch nicht … Ich brainstorme gerade noch bezüglich eines bestimmten Themas.«

»Welches?«

Sie verdrehte die Augen. »Liebe, natürlich!«

»Ah, klar.« Die Liebesromanautorin brainstormte zum Thema Liebe … Nein, er verstand es nicht. »Was genau gibt es da denn zu brainstormen?«

»Im Moment versuche ich herauszufinden, wie verschiedene Menschen mit möglichst unterschiedlichen Charakterzügen Liebe definieren, um einen neuen Ansatz für einen möglichen Roman zu bekommen«, sagte sie langsam, bevor ihr Gesicht sich aufhellte. »Hey! Du bist ein Mensch und du hast einen Charakter: Was ist Liebe für dich?«

Er verzog das Gesicht. »Du stellst schwierige Fragen.«

»Schwierige Fragen sind die besten Fragen. Komm schon: Wie definierst du Liebe?«

Jon stieß einen Schwall Luft aus und ließ seine Gedanken wandern. »Ich … na ja«, murmelte er und kratzte sich den Nacken, während er darüber nachdachte. Das war schwieriger als gedacht. Früher hatte er immer geglaubt, dass er sich diese Frage nie stellen würde. Dass er eine Frau kennenlernen, sich verlieben und nicht einmal hinterfragen würde, was diese Emotion genau umfasste. Er würde es einfach wissen. Doch mittlerweile war er dreiunddreißig Jahre alt und noch kein einziges Mal verliebt gewesen. Und das nicht, weil er es nicht versucht hatte!

Also, was dachte er, war Liebe …?

Er runzelte die Stirn und sah Norah an. »Ich schätze, für mich ist Liebe wie ein Schlag in den Magen. Wie ein Blitz, der dich trifft. Du kriegst keine Luft mehr und weißt: Dein Leben wird nie wieder dasselbe sein.«

So zumindest war es für seine Eltern gewesen. Das war es, was seine Mutter ihm als Jugendlicher erzählt hatte. Dass ein ganzes Feuerwerk in ihrem Kopf und Bauch losgegangen war, als sie seinen Vater kennengelernt hatte – und sie musste wissen, wovon sie sprach.

Als seine Eltern noch gelebt hatten, waren sie für ihn das perfekte Paar gewesen. Nach fünfundzwanzig Jahren Ehe immer noch schrecklich verliebt. War es zu viel verlangt, dasselbe zu wollen?

Norah lächelte breit. »Wow. Das ist eine sehr romantische Vorstellung … und gleichzeitig eine sehr hohe Anforderung an die Liebe.« Sie verengte die Augen. »Und an jede Frau, wenn ich darüber nachdenke.«

War es das? Er fand nicht. Wenn er in einem Bereich hohe Ansprüche haben sollte, dann doch wohl in seinem Liebesleben und bei der Frau, mit der er den Rest seines Lebens verbringen würde, oder nicht?

»Darf ich dich da zitieren?«

»Klar«, sagte er und lächelte knapp, bevor er sich mit dem Bier in der Hand wieder zu seinem heutigen Date vorkämpfte. Zu einer Frau, von der er bereits wusste, dass sie nicht zu ihm passte. Er würde trotzdem weiter höflich sein und sich wahrscheinlich noch mindestens eine Stunde mit ihr unterhalten.

Denn er war nun einmal ein netter Kerl.

Anderthalb Stunden später bereute Jon, dass er so ein netter Kerl war.

Der Abend war so furchtbar zäh gewesen, dass er ihm noch immer zwischen den Zähnen klebte. Nach der zweiten Flasche Bier war er leider dazu gezwungen gewesen, mit dem Trinken aufzuhören, da er mit dem Auto da war. Dennoch hatte er gelächelt, Julie zum Abschied einen Wangenkuss gegeben und ihr versichert, dass er einen netten Abend gehabt hatte. Versprochen, dass er sich bei ihr melden würde, hatte er allerdings nicht. Denn das würde er nicht und er log nicht gern.

Frustriert setzte er sich hinters Steuer seines alten Fords und überlegte, einfach nach Hause zu fahren. Aber es war noch früh, kaum zehn, und er hatte keine Lust darauf, mit Seth und Shadow zu reden, die ihn zweifelsohne danach fragen würden, wie das Date gelaufen war. Da die beiden jedoch nicht nur Mitinhaber der Waterboys, ihrer Firma rund um Wasseraktivitäten aller Art, sondern derzeit auch seine Mitbewohner waren, war zu Hause keine Option.

Vielleicht sollte er einfach noch ein wenig Papierkram machen. Dann wäre dieser Samstagabend zumindest nicht vollkommen verschwendet.

Es war ein deprimierender Gedanke, aber einen besseren hatte er nicht, also fuhr er zum Lagerhaus, von dem aus sie ihr Business führten. Es lag an einem alten Industriehafen, über dem noch immer ein rostiger Kran aufragte, der im fahlen Mondlicht glänzte.

Jon schloss den Wagen ab und schlug den Kragen seines Mantels hoch, um sich vor der erbarmungslosen Januarkälte zu schützen. Langsam schlenderte er den Steg hinab, an dem das raue Meer leckte, und trotz des katastrophalen Abends stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht.

Er hatte es vermisst. Das Meer. Die dunkelblauen Wellen, die beim leisesten Windhauch aufschäumten. Die salzige Luft, die auf seinen Lippen prickelte. Wasser, in egal welcher Form, war noch immer das beste Element, das diese Erde zu bieten hatte. Und in Afghanistan, wo er die meiste Zeit mit Shadow und Seth stationiert gewesen war, hatte es davon nicht allzu viel gegeben.

Jon hatte immer gewusst, dass er irgendwann nach Eden Bay zurückkehren würde. Er hasste die Anonymität und den Lärm von Großstädten und seine Schwester Sky, das einzige Mitglied, das von seiner Familie übrig geblieben war, lebte hier. Nach seiner letzten Tour war es ihm also vollkommen natürlich vorgekommen, zurück in die kleine Hafenstadt zu ziehen.

Irgendwie war er jedoch davon überzeugt gewesen, dass er eine Ehefrau mitbringen würde – nicht zwei gestandene Soldaten, die ihm zwar des Öfteren das Leben gerettet hatten, mit denen er aber trotzdem nicht das Bett teilen wollte. Nichts für ungut. Die beiden waren einfach nicht sein Typ.

Er kramte seinen Schlüssel hervor, doch er hätte sich nicht die Mühe machen müssen. Aus dem Rezeptionsbereich drang Licht und die Tür war nicht abgeschlossen.

Er war offenbar nicht der Einzige, der sich nach etwas Einsamkeit sehnte.

»Was machst du hier?«, begrüßte Seth ihn überrascht und schaute zur Uhr, als Jon eintrat. »Es ist kurz nach zehn. Hattest du nicht ein Date?«

Jon wollte gerade antworten, dass der Abend eine Verschwendung gewesen sei, als Seth zur Seite trat … und die Sicht auf ein verchromtes Monstrum freigab, das auf der Rezeption stand.

»Was zur Hölle ist das?«, fragte er perplex und deutete auf die rote und silberne Maschine, die mit diversen Klingen und Öffnungen geschmückt war.

»Der Entsafter 3000«, sagte Seth verwirrt, als hätte Jon das wissen müssen.

»Der … was?«

»Der Entsafter 3000«, wiederholte Seth und schnalzte mit der Zunge. »Hörst du mir nicht zu?«

Oh nein. Stöhnend legte Jon den Kopf in den Nacken. Nicht noch eine weitere Küchenmaschine.

»Was tut er hier, Seth?«, wollte er griesgrämig wissen.

Seth hob eine Schulter. »Wir hatten zu Hause keinen Platz mehr für ihn.«

»Ich weiß! Weil unsere Küchenanrichte mit den anderen albernen Maschinen vollsteht, die du nachts auf dem Homeshopping-Kanal bestellst!«

»Sie sind nicht albern«, meinte Seth verärgert. »Sie erfüllen alle einen Zweck.«

»Welchen? Den, mich in den Wahnsinn zu treiben?«

»Als ich euch heute Morgen zum Frühstück mit Waffeln geweckt habe, hast du dich nicht beschwert.«

»Ja, aber über Pancakes aus der Pfanne hätte ich mich ebenso gefreut«, stellte Jon klar und ließ die Tür hinter sich zufallen. »Der Entsafter kann hier nicht stehen bleiben.«

»Warum nicht?«

»Weil er riesig ist, Seth!«

»Aber was ist, wenn unsere Gäste gern einen Saft hätten?«, gab sein Freund zu bedenken und hob erwartungsvoll die Augenbrauen. »Dann könnten wir den Entsafter 3000 gut gebrauchen.«

»Oder wir kaufen welchen!«

»Also jetzt verlierst du den Verstand«, meinte Seth entgeistert. »Du kannst doch gekauften Saft nicht mit frisch gepresstem vergleichen.«

Jon schnaubte und presste die Lippen zusammen. »Seth, das Teil ist gigantisch und hat hier nichts verloren. Du kannst so viel Saft pressen, wie du willst – solange du es in deinem Schlafzimmer tust.«

»Mann, das Date muss ja richtig scheiße gewesen sein, wenn du deine Laune schon an einem armen Entsafter auslässt«, murmelte Seth unbeeindruckt und strich dem Chrom-Monster liebevoll über den Rücken.

Jon stöhnte und sank auf den Stuhl vor der Rezeption. »Mein Hass auf dumme Küchenmaschinen hat nichts mit meinem katastrophalen Date zu tun.«

»Katastrophal … wow. Was ist passiert, dass du auf dieses Adjektiv zurückgreifen musst?«

Eigentlich nicht allzu viel, wenn Jon darüber nachdachte. »Vielleicht ist katastrophal das falsche Wort«, ruderte er zurück. »Langweilig trifft es eher. Julie war nett und hübsch und alles … aber ich schwöre dir, sie könnte Menschen ins Koma reden.«

Seth lachte leise. »Hört sich nach einem tollen Abend an. Willst du einen Saft zur Aufheiterung?« Er deutete auf ein Glas neben dem Küchenmonstrum, das offenbar mit Orangensaft gefüllt war.

Jon sah seinen Freund düster an.

»Komm schon. Es ist ohnehin größtenteils Wodka drin«, sagte Seth grinsend und reichte Jon ein Glas. »Ich fand es zu traurig, meinen Samstagabend nur mit dem Pressen von O-Saft zu verbringen. So kann ich erzählen, dass ich praktisch Cocktails gemixt habe.«

Jon schüttelte den Kopf. »Bin mit dem Auto hier.«

»Na und? Hol es morgen ab und betrink dich heut mit mir. Um dein Date zu vergessen.«

Das war alles in allem keine schlechte Idee. »Schön«, meinte Jon und griff nach dem Getränk.

Seth klopfte ihm auf die Schulter, als wolle er ihm für seine gute Entscheidung gratulieren, zog sich einen Stuhl heran und befüllte ein zweites Glas mit Saft und Wodka.

»Was tust du überhaupt hier?«, fragte Jon, nachdem er den ersten Schluck genommen hatte.

»Ach.« Seth winkte ab. »Shadow und Allie sind bei uns zu Hause. Ehrlich: Das ganze Kichern und Stöhnen, das durch die Wand dringt, ist kaum auszuhalten. Ich fühle mich, als wäre ich in einem humorvollen Porno. Ich weiß Pornos zu schätzen, wirklich, aber nicht, wenn mein bester Freund ihn zusammen mit unserer Mitarbeiterin dreht. Und scheiße, es gehört schon eine Menge dazu, mir Pornos madig zu machen.«

Jons Mundwinkel zuckten. Er verstand Seth. Seit Shadow mit Allie zusammen war, die seit ein paar Monaten für sie arbeitete, war er unglaublich glücklich. Es war schrecklich.

Allie wohnte noch bei ihrer Schwester Mallory. Mallory hatte eine Tochter im Teenageralter und wollte verständlicherweise nicht, dass sie mitbekam, wie ihre Tante jede Nacht einen Ex-Marine vernaschte. Leider bedeutete das, dass die beiden fast jede Nacht in ihrer Wohnung verbrachten, die sehr dünne Wände hatte.

»Weißt du, ich freu mich für sie«, stellte Seth klar und hob die Hände. »Aber gleichzeitig …«

»Hasst du es?«, half ihm Jon auf die Sprünge.

»Wie tote Fliegen auf meiner Windschutzscheibe.«

Jon nickte. »Du bist neidisch.« Er kannte das Gefühl.

»Scheiße, ja«, bestätigte Seth und kippte seinen Drink hinunter. »Ganz ehrlich … ich war immer fest davon überzeugt, dass ich zumindest vor Shadow eine Freundin finde. Nicht unbedingt vor dir, weil … na ja, du bist schon ein süßer, sympathischer Fratz.« Er wedelte mit der Hand vor Jons Gesicht herum. »Aber doch zumindest vor dem Typen, der Frauen mit nur einem düsteren Blick in die Ohnmacht zwingen kann.«

»Jup«, bestätigte Jon und nahm noch einen weiteren Schluck. »Und vielen Dank für das Kompliment. Du bist auch knuffig.«

Sein Kumpel winkte ab. »Weiß ich doch.«

Jon lachte trocken und freudlos. Seth hatte nun einmal vollkommen recht. Shadow hatte so viele emotionale Probleme, dass er den ganzen Entsafter 3000 damit füllen konnte – und trotzdem hatte er eine Frau gefunden, die ihn lächerlich glücklich machte. Was also machten Jon und Seth falsch?

Er leerte sein Glas. »Der Saft ist wirklich fantastisch«, murmelte er und stellte es auf die Rezeption.

»Sag ich doch. Willst du noch einen? Ich habe drei Netze Orangen gekauft.« Seth gestikulierte zum Boden, auf dem sich tatsächlich die Zitrusfrüchte häuften – zusammen mit der noch fast vollen Flasche Wodka.

»Warum nicht? Hab nichts Besseres vor heute.«

»Das ist die richtige Einstellung«, bemerkte Seth anerkennend und warf neue, ganze Orangen in eine der oberen Öffnungen.

»Du musst die Teile nicht mal aufschneiden?«, fragte Jon beeindruckt.

»Nope. Das Ding ist magisch.«

»Du kannst es trotzdem nicht hier stehen lassen.«

»Da reden wir in zwei Stunden noch mal drüber«, bestimmte Seth und drückte einen Knopf, sodass frischer Saft in einen gläsernen Pitcher floss, der unter der Maschine stand. »Weißt du, ich will eine Beziehung, Jon«, sagte Seth lauter über die gurgelnden Geräusche des magischen Dings hinweg. »Ich will heiraten, Kinder kriegen, den ganzen Mist. Und eigentlich will ich ihn seit gestern.«

»Ich auch«, stellte Jon tonlos fest. Denn es war die Wahrheit. Warum sollte er das nicht offen zugeben? Er konnte die ganzen Kerle, die Angst vor ernsten Beziehungen hatten, ihren Freiraum brauchten und bei dem Wort Hochzeit blass wurden, nicht verstehen.

Eine Menge einsame Abende zu verbringen, war nichts, worüber er sich freute. Er wollte sein Leben nicht allein verbringen. Er wollte es teilen. Jeden Aspekt davon. Ihm fehlte nur die richtige Frau!

»Ich dachte immer, dass ich in meinem Alter längst verheiratet wäre«, murmelte er und nahm das neu befüllte Glas von Seth entgegen.

»Dito. Aber es ist nicht deine Schuld. Wir sind eine Tour mehr gefahren, als du zu Anfang geplant hattest, oder? Es war schwer, in Afghanistan Frauen kennenzulernen. Wenn du schon vor ein paar Jahren zurückgekehrt wärst, ständest du längst vorm Traualtar.«

Jon war sich da nicht so sicher. Er war innerhalb der letzten zwei Monate auf acht Dates gewesen – und bei keiner einzigen Frau hatte er auch nur so viel wie ein Kribbeln gespürt. Langsam zweifelte er daran, dass es da draußen jemand Passenden für ihn gab.

»Vielleicht«, sagte er deswegen vage und fixierte Seth. »Aber was ist mit dir? Wenn du so sehr jemanden kennenlernen willst, warum gehst du dann nicht aus?«

Soweit er wusste, war Seth auf kein einziges Date gegangen, seitdem sie in Eden Bay wohnten.

Sein Freund senkte den Blick auf sein Getränk und schwenkte die Flüssigkeit im Glas. »Ich muss erst mal wieder lernen zu schlafen, bevor ich mit jemandem schlafe.«

Jon verzog das Gesicht. »Immer noch nicht besser?

»Doch, ein wenig«, antwortete Seth schroff, bevor er seufzte und den Kopf schüttelte. »Nein, was erzähl ich da? Nicht wirklich. Ach, ich will nicht drüber reden.«

Shit. Das erklärte zumindest den Entsafter 3000. Immer, wenn Seth nicht schlafen konnte, kaufte er irgendeinen Mist, den er nicht brauchte.

»Egal. Du hast nicht meine Probleme«, fuhr Seth fort und strich sich fahrig durch die Haare, offensichtlich scharf darauf, das Thema zu wechseln. »Du solltest doch leicht jemanden finden können, oder?«

Das hatte er auch geglaubt, aber offensichtlich lag er falsch. »Ich hab keine Ahnung, was das Problem ist«, gab er zu und dachte automatisch an Norahs Worte. »So hoch sind meine Anforderungen nicht. Ich will einfach was … Unkompliziertes. Was Simples. Gut aussehender Kerl trifft süßes Mädchen. Sie verlieben sich. Ziehen zusammen. Heiraten. Kaufen ein Haus. Kriegen Kinder. Ende.«

Seth grinste. »Na ja, du musst halt erst etwas hübscher werden, damit das klappt. Bis jetzt ist es: Kartoffelgesicht trifft süßes Mädchen.«

Jon schnaubte. »Gerade meintest du noch, dass ich auch süß bin.«

»Ja, aber da war ich noch nüchtern und wollte deine Gefühle nicht verletzen«, stellte Seth klar und prostete ihm zu.

Er verdrehte die Augen und rieb sich die Brust. »Gott, ich war seit zwei Jahren noch nicht einmal mehr mit jemandem im Bett …«

»Seit zwei Jahren?« Entgeistert sah Seth ihn an. »Wie hast du das denn geschafft?«

»Ist einfach passiert.«

»Warum?«

»Keine Ahnung. Erst die Army. Jetzt der neue Job.«

»Shit. Und ich dachte, ich wäre mit zehn Monaten arm dran«, meinte Seth kopfschüttelnd.

»Nope.«

»Weißt du, in dem Fall glaub ich, musst du erst einmal zurück aufs Pferd«, überlegte Seth laut und neigte nachdenklich den Kopf.

Jon sah auf. »Was?«

»Na ja, du musst einfach mal wieder mit irgendeiner Frau irgendwas haben«, erklärte er. »Damit du es nicht verlernst. Und dann kannst du nach deiner Traumfrau suchen.«

Jon schnaubte. »Ach ja? Und welche Frau schwebt dir da vor?«

»Keine Ahnung.« Ratlos sah Seth ihn an. »Eine, die du heiß findest und die nichts Ernstes sucht. Eine, mit der du nur für eine Nacht Spaß haben kannst. Eine, die dir ein wenig den Druck nimmt. Du suchst im Moment einfach zu verbissen nach der perfekten Frau. Ist doch nichts falsch dran, dir mit einer unperfekten eine Pause zu gönnen.«

Jon seufzte schwer und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Ja, vielleicht hatte sein Freund recht. Es war anstrengend, zu daten, wenn er das ganze Treffen lang darüber nachdachte, ob er sich vorstellen konnte, den Rest seines Lebens mit der Frau ihm gegenüber zu verbringen. 

Ein bisschen Spaß klang gar nicht schlecht. Aber wo zur Hölle sollte er eine Frau für diesen Zweck herbekommen?

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