How to Fight Fate – Leseprobe

Zwei Seelen: Ein Band
neue Kräfte entflammt.
Zwei Seelen, getrennt –
ihr Schicksal rot brennt.

DAS WOHL BERÜHMTESTE SPRICHWORT ANIMAS

Prolog

Kaltes Blut floss langsam.

Es brachte kaum noch Energie mit sich und es kam mir respektlos vor, sie zu nehmen. Den letzten Funken eines fremden Seins zu vereinnahmen und zu benutzen.

Ich tat es trotzdem.

Presste meine zitternden Hände auf die dicke Flüssigkeit, die über das weiße Kopfsteinpflaster rann. Sog stickige Luft, aber vor allem Kraft ein, beide geschwängert von Eisen und Entsetzen. Doch ich brauchte sie, um zu retten, was zu retten war.

»Er ist ziemlich tot.«

»Ich weiß.«

»Lebendig wäre besser gewesen.«

»Hör auf, das Offensichtliche auszusprechen!«, sagte ich genervt.

»Was ich sagen will, ist –«

»Ich vermute: Danke«, zischte ich und riss die Hände aus dem Blut sowie meinen silbernen Dolch aus dem schlaffen Körper vor mir, bevor ich beides an meiner Brust abwischte und aufstand, ohne den Toten noch eines Blickes zu würdigen. Ich war nicht seinetwegen hier. Aber ich würde seinetwegen wieder gehen müssen. Bastard.

Ich hörte die Schritte bereits. Die Nacht füllte sich mit Rufen und dem Wetzen von Metall. Die Kraft, die ich genommen hatte, würde nicht reichen – es waren zu viele.

Scheiße.

Mein Puls und meine Hände schossen in die Höhe. Ich riss den Kopf herum und wusste, was kam. Was hatte kommen müssen. Das Schicksal war schon immer wütend auf mich gewesen. Es hatte mich schon immer dafür gehasst, dass ich mich ihm nicht beugen wollte. Mich dafür bestraft, dass ich nicht mitspielte.

»Lauf.«

»Ich …«

Ich ballte die Fäuste. »Du kennst unsere Abmachung – und ich sagte: Lauf!«

Kapitel 1

Kiana

Das Ich ist kostbar.
Das Du wichtig.
Das Wir das höchste Gut,
geboren aus Liebe und Schicksal.


AUS DEN SEELENBAND-GESETZEN NACH PAZAN UND MOYRA

Ich erkannte ihn an seinem Schatten.

An der Dunkelheit, die aus seinen Füßen floss und den blank polierten Kupferboden der Eingangshalle wie mit Tinte benetzte. Ja, Schatten studieren rangierte auf der Liste interessanter Zeitvertreibe wohl noch hinter Flusen pusten und Regenwolken in der Wüste zählen, aber wenn man selbst keinen Schatten besaß, wurde man zwangsläufig ein wenig besessen von denen anderer. Und mir genügte ein Blick, um zu wissen, dass dieser hier nichts verloren hatte. Ebenso wie der Mann, zu dem er gehörte.

Sein Schatten war schwärzer als die der anderen. Der Umriss dennoch nicht scharf, sondern ein flüchtiges Flackern, das ich mit dem Blick nur schwer zu fassen bekam. So, als verberge selbst noch sein dunkles Abbild, wer er wirklich war.

Er trug Pazans Farben – den goldenen Kragen und die goldenen Knöpfe der Ordensmitglieder des Gottes der Liebe. Doch sein Schatten … er flüsterte Kriegsnovize.

Ich verengte die Augen und neigte den Kopf. Was tat ein Kriegsnovize im göttlichen Palast? Soweit ich wusste, wurden Mitglieder des Kriegsordens nie als Besucher zur Seelenzeremonie eingeladen, da man sie zu dringend an der Front brauchte. Und dass der Mann nicht als Teilnehmer hier war, verriet mir seine Kleidung: Wir sollten unseren zukünftigen Partnerinnen und Partnern ohne Vorurteile gegenübertreten, sollten weder wissen, ob sie arm oder reich waren, noch woher sie kamen. Daher trugen wir Teilnehmer alle dasselbe, schlichte Gewand – nur unsere Gürtelfarben verrieten,
ob wir zu einem Orden gehörten oder nicht. Oder unsere Schatten, wenn man so aufmerksam war wie ich.

Laut der Vorsitzenden meines Ordens grenzte meine Aufmerksamkeit an Besessenheit – ein Schutzmechanismus, der mir die letzten Jahre in Fleisch und Blut übergegangen war und mich im Waisenhaus vor den Angriffen der anderen bewahrt hatte. Ein Schutzmechanismus, den ich bald nicht mehr brauchen würde, denn heute würde ich einen Partner und einen Platz im göttlichen Palast erhalten, vorzugsweise in den oberen Rängen.

Hoffte ich. Betete ich zu Pazan und Moyra, die uns gleich im Seelensaal willkommen heißen würden. Sollte ich hingegen leer ausgehen … Ich schluckte und meine Finger verkrampften sich in meinem Zeremoniegewand. Das fließende Material lag so leicht auf, dass ich mich seltsam nackt darin fühlte. Um mich abzulenken, fuhr ich fort, den Eindringling mit dem verräterischen Schatten zu inspizieren.

Von den langen Beinen, die in den für Pazans Ordensmitglieder typischen hellbraunen, eng anliegenden Hosen steckten, bis zu den breiten Schultern, die gegen die Naht des goldenen Kragens der elfenbeinfarbenen Tunika ankämpften. Seine Haut hatte einen warmen bronzenen Farbton, einige Schattierungen dunkler als der meiner eigenen hellen, doch seine Augen –

Ich zuckte zusammen. Seine klaren grauen Augen waren auf mich gerichtet. Unnachgiebig und … amüsiert?

Als wäre ich es, die sich dafür schämen müsste, von ihm beim Starren ertappt zu werden. Dabei war er es, der offensichtlich unbefugt in den Palast der Götter eingedrungen war!

Ich reckte das Kinn, hielt den Blick und konnte nicht umhin, ein wenig Abscheu in ihn zu legen. Ich war noch nicht vielen Meistern oder Novizen des Krieges begegnet – doch sie alle hatten eines gemeinsam: Sie waren arrogant, hielten sich für unbesiegbar und begegneten jedem bösen Wort, jedem Flüstern von ihrem Verrat, mit einer ungesunden Prise Verachtung.

Dieser Kerl schien nicht anders zu sein. Wusste er nicht, dass ich ihn durchschaut hatte?

Seinen spöttisch gehobenen, schwarzen Augenbrauen nach zu urteilen, die dieselbe Farbe wie sein kurzes Haar hatten, war es ihm egal. Er sah an mir herab: Sein Blick blieb an dem kupfernen Band hängen, das eng um meine Taille geschnürt war, fuhr dann zum gleichfarbigen Saum meines Gewands. Er erkannte somit zweifellos, dass ich eine Schicksalsnovizin war. Ein Umstand, der schon immer Last und Geschenk zugleich gewesen war und Bewunderung
sowie Missgunst mit sich brachte.

Doch der Blick des Kriegsnovizen machte mir keine Angst. Abgesehen von der Zeremonie, die in wenigen Augenblicken beginnen würde, machte mir schon seit Jahren nichts mehr Angst. Die kommenden Stunden … sie waren meine einzige Chance, mein Leben zu ändern. Und ich würde sie mir nicht nehmen lassen. Nicht von einem arrogant dreinblickenden Kriegsnovizen, der nichts in diesem Palast zu suchen hatte.

»Wunderschön, nicht wahr?«

Ich blinzelte und wandte mich nach rechts zu einer jungen Frau. Freundlichkeit war meiner Meinung nach attraktiver als ein Haufen hübscher Muskeln. Aber einen kurzen Moment lang wollte ich widerwillig zugeben, dass der fremde Krieger durchaus schön genug war, um als Liebesnovize durchzugehen. Wenn man seine Männer denn groß und muskulös mochte und einem hohe Wangenknochen sowie breite Schultern wichtiger waren als ein warmer Blick. Gerade noch rechtzeitig bemerkte ich allerdings, dass die Frau neben mir, deren schlichter schwarzer Gürtel sie als ordenslos verriet, überhaupt nicht auf den Kriegsnovizen achtete. Sie starrte stattdessen staunend aus einem der bodentiefen Palastfenster, offenbar entzückt von den roten Dächern Psyrs.

Sie hatte recht: Unsere Hauptstadt war tatsächlich wunderschön. Ich hatte von ihr gelesen, an einem der Nachmittage, die ich im Schutz der menschenleeren Bibliothek statt an der frischen Luft verbracht hatte, an der sich immer zu viele Leute tummelten. Psyr war vor Ewigkeiten aus Kupfer und weißem Stein gebaut worden, um Moyra zu ehren, die Göttin des Schicksals. So wie die Menschen im Osten des Landes dem Gott der Liebe mit Gold und Glas ihr Wohlwollen ausdrückten. Wie vor langer Zeit im Süden die Krieger ihrer Göttin Martia mit Silber und Holz gehuldigt hatten –
bevor Martia den Krieg auslöste, der unserem Land seit 300 Jahren zahllose Opfer abverlangte. Die Mitglieder des Kriegsordens, die auf der Seite Animas verblieben waren, hatten die Huldigung gegen Hass eingetauscht und das Silber gegen Stahl, mit dem sie gegen Martia in die Schlacht zogen. Der einst prosperierende Süden bestand jetzt hauptsächlich aus ödem Land, brutalem Gestein und dem Versprechen von einem schnellen Tod an der Front.

Meine Heimatstadt stand nicht allzu weit von der ewigen Kriegslinie entfernt. Uns hatte nie ein direkter Angriff getroffen, doch wir brachten schon seit Jahren etliche verstorbene Soldaten auf unseren Friedhöfen unter. Diejenigen ohne Seelenpartner, die an die Front geschickt worden waren, weil sie nur ihr eigenes Leben zu verlieren hatten. Hier jedoch, in der Hauptstadt Animas, in der Mitte des Landes, herrschte schimmernder Frieden, der nichts als
Sehnsucht und Vorfreude in mir auslöste. Denn wenn ich Glück hatte … – nein, Glück hatte keinerlei Bedeutung! – wenn das Schicksal es so wollte, würde ich nie wieder gehen müssen. Und das Schicksal war meine Freundin, also …

Die Frau neben mir seufzte und strich sich gedankenverloren über ihre dunkelbraunen Haare, die zu einem Kranz um ihren Kopf geflochten waren. »Ich war noch nie so weit von zu Hause fort«, erklärte sie. »Ich wusste nicht einmal, dass Häuser aus einem anderen Material als Sand gebaut werden können.«

»Du kommst aus Elimos?« Soweit ich wusste, waren die Wüstenlande der einzige Ort mit Häusern aus Sand, da es nirgendwo sonst so viel davon gab – und so wenig anderer Materialien.

Doch ich hörte ihrer bestätigenden Antwort nur mit halbem Ohr zu, denn mit dem Blick suchte ich erneut den Kriegsnovizen in fremden Kleidern … Er war verschwunden. Gut so.

»… aus einem Dorf direkt am Rand! Praktisch auf der Grenzlinie Animas. Meine Mutter hatte Angst, dass wir zu weit nördlich wohnen, um mir einen Platz in der Seelenzeremonie zu sichern«, fuhr meine neue Bekannte fort, die nichts von meiner geistigen Abwesenheit mitbekommen zu haben schien. »Sie war überglücklich, als der Brief kam und mich herbeordert hat. Ich habe bis jetzt noch keine Fähigkeiten gezeigt, aber falls ich einen Partner bekommen sollte …« Sie zögerte und verflocht nervös ihre Finger ineinander, doch ich sah, wie schwer ihr das Wort falls auf der Zunge lag. Verstand es. »Falls ich heute meinen Seelenverwandten finden sollte, würde sich das alles ändern. Wir könnten vielleicht sogar hierherziehen. Wo es Wasser und Essen im Überfluss gibt. Je nachdem, mit wem …« Sie räusperte sich. »Wen das Schicksal für mich bereithält.«

Ich lächelte und nickte fest. Der Norden unseres Landes war so trocken, dass manche Bewohner dort das Wort Regen erst mit zehn Jahren lernten. Doch ihnen fehlten das Geld, die Kräfte und die Mittel, um gen Süden zu ziehen. Die Magie war schwach im Norden, hieß es. Nur der richtige Partner konnte ihnen einen Neuanfang ermöglichen.

»Wo kommst du her?«, wollte sie wissen und betrachtete bewundernd meinen kupfern schimmernden Gürtel. So sahen mich viele Leute an, die keine Kräfte hatten. Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Neid. Ich brachte es nie übers Herz, ihnen zu verraten, dass jede Fähigkeit einen Preis hatte – den ich bereits viel zu oft hatte zahlen müssen.

»Aus einer langweiligen Stadt im Süden«, meinte ich. »Wir haben nur Holz. Nichts anderes.« Mit den Fingern tastete ich automatisch nach dem Würfel in meiner Tasche, den ich vor zehn Jahren selbst geschnitzt hatte. An dem Tag, an dem ich entschieden hatte, dass ich meine Fähigkeiten ebenso gut trainieren konnte, wenn ich sie schon nicht loswurde. »Ehrlich gesagt wollte ich schon immer mal die Wüste sehen. Schon immer mal in den Norden reisen.« Tatsächlich hatte ich schon immer mal überall hingewollt. Hauptsache weit weg von meiner Stadt und dem verdammten, kalten Haus, das sie Zuflucht getauft hatten, mir aber wie ein Gefängnis vorgekommen war.

»Es ist die Reise nicht wert«, bemerkte die junge Frau lachend. »Außer du liebst Sand an unangenehmen Orten und stachelige, vertrocknete Bäume, die deine Kleider zerreißen. Dann könntest du auf deine Kosten kommen.«

Ich seufzte dramatisch. »Ach, an den meisten Tagen sind mir Bäume lieber als Menschen. Sie reden weniger. Das weiß ich zu schätzen.«

Die junge Frau neben mir lachte erneut und mein Herz dehnte sich aus. Es war schön, mich von ihrer Heiterkeit anstecken zu lassen. Vielleicht waren meine Fähigkeiten ausgeprägt genug, dass die Götter mich hierbehalten wollten, in dem Teil des Landes, der den größten Einfluss hatte. Vielleicht könnte ich an diesem Ort sogar … Freunde finden. In diesem großen Palast auf dem Berg in der Mitte Psyrs, in dem ich mich seltsam wohl fühlte. In dem mein Gürtel und der Saum meines Gewands nichts Besonderes waren. Umgeben von lauter Schicksalsnovizen und Meistern, die wussten,
wie ich mich mein Leben lang gefühlt hatte. Die mich akzeptieren würden. Mir lieber als Bäume werden würden.

»Ich bin Rese«, sagte meine Gesprächspartnerin warm. »Und du?«

»Kiana«, antwortete ich und drehte mich, um ihre entgegengestreckte Hand zu ergreifen. Dabei streifte ihr Ellbogen meinen …

Kälte überzog meine Haut wie ein klammer Schweißfilm. Hoffnungslosigkeit überflutete meine Sinne. Schnappte nach mir wie der Tod nach den Soldaten an der Front.

Emotionen und Empfindungen waren immer schneller als die Vision. So wie der Blitz dem Donner zuvorkam. Sobald die Bilder und Gedanken folgten, war ich beinah erleichtert. Egal wie grausam sie auch sein mochten, sie wirkten wenigstens fremd. Bei den Gefühlen wusste ich zwar sofort, dass sie nicht zu mir gehörten – aber ich spürte sie, als wären es meine. Ich fühlte jeden verdammten Nadelstich und jeden inneren Schmerz.

Rese saß auf einer harten, metallenen Bank. Die Ellbogen auf den Knien, die Hände aufs Gesicht gepresst. Tränen liefen über ihre Haut, tropften von ihrem Kinn. Der Boden unter ihren Füßen vibrierte. Kalte Nacht kroch durch ein einzelnes, vergittertes Fenster. Alles war verloren. Sie würde sie nie wiedersehen: Ihre Mutter, ihre Schwester, ihre Heimat, über die sie sich lustig gemacht hatte, die sie dennoch über alles liebte …

Meine Finger fanden den hölzernen Würfel in meiner Tasche und die Eindrücke stoppten genauso schnell, wie sie gekommen waren. Mir schnürte sich die Kehle zu und meine Zunge klebte am Gaumen, doch ich blinzelte die fremden Bilder routiniert weg. Vorsichtig schüttelte ich Reses Hand und die Emotionen ab, die nicht meine eigenen waren, bevor ich unauffällig einen Schritt zur Seite trat und hastig die Handschuhe höher hinaufzog. Sie waren
unbemerkt über meine Ellbogen gerutscht. Mein Fehler. Der Kriegsnovize hatte mich abgelenkt, sonst wäre mir das nicht passiert. Es war unhöflich, ungefragt die Zukunft anderer zu lesen. Ich hatte schon Peitschenhiebe für weniger bekommen. Also versuchte ich zu vergessen, was ich gesehen hatte. Auch wenn mein Nacken sich versteifte und mich das altbekannte Gefühl von dumpfem Grauen und blendender Hilflosigkeit überkam. Dinge sehen, aber nicht beeinflussen zu können, machte das mit mir.

»Sehr erfreut, Kiana«, meinte Rese mit leuchtenden Augen und ich erwiderte ihr Lächeln. Tat einfach so, als wäre nichts passiert. Ich hatte gelernt, dass es manchmal besser war, einen Teil von mir zu verstecken. Die Menschen in Anima wollten nicht alles wissen, egal wie sehr sie beteuerten, dass sie es doch taten. Ich mochte die Zukunft sehen, doch ich würde sie nicht deuten. Ich weigerte mich, es zu tun. Meine Vision konnte in zehn Jahren eintreten oder in zehn Minuten. Oder niemals. Die Zukunft veränderte sich andauernd.

Ich atmete tief durch und versicherte mich noch einmal, dass die Handschuhe saßen, die mir meine Ordensführerin Fraya vor einigen Jahren geschenkt hatte. Sie werden dir einen Teil deiner Verantwortung nehmen, hatte sie gemeint.

»Die Zeremonie beginnt in wenigen Minuten. Mir nach«, unterbrach eine sanfte, aber bestimmte Stimme meine eigenen Gedanke und ich schaute auf. Dutzende andere nervöse Frauen und aufgeregte Männer neben mir, alle im Alter zwischen achtzehn und einundzwanzig Jahren, folgten meinem Beispiel und fixierten den groß gewachsenen Mann mit schulterlangen, stahlgrauen Haaren, der uns nun seinen Rücken zuwandte und die Eingangshalle in langen Schritten durchquerte. Der Kragen seiner Tunika war goldbeschlagen, drei Kreise in derselben Farbe zierten seine
Ärmel und zeichneten ihn als hochrangigen Meister aus, der unter dem Schutz des Gottes der Liebe arbeitete. Alle Ordensmitglieder Pazans waren mit Schönheit gesegnet – und mit der Kraft, die Gemüter von Menschen zu beeinflussen.

Doch die Kunst des Liebesmeisters war nicht der Grund, aus dem wir uns alle gleichzeitig und mit angespannter Hast in Bewegung setzten. Nein. Es war das, was uns hinter dem dichten Vorhang erwartete, der aus goldenen und kupferfarbenen Fäden gewebt war. Eine Anspielung auf unsere eigenen Schicksalsfäden, die heute hoffentlich verknüpft werden würden. Laut Legenden hingen sie in irgendeiner Höhle, die so gut verborgen war, dass die
Schicksalsgöttin selbst ab und zu vergaß, wo sie sich befand.

Mein Atem wurde flacher und ich streckte den Rücken durch, während ich die Furcht niederrang und es aufs Neue mit Hoffnung versuchte. Auf der anderen Seite des Vorhangs könnte mein Seelenpartner auf mich warten. Ein Mensch, der dafür sorgen würde, dass ich nie wieder allein war und mich endlich geborgen fühlte. Ein Gefühl, das ich nie gehabt hatte. Vielleicht als meine Eltern noch gelebt hatten, doch ich erinnerte mich kaum noch an ihre Gesichter, geschweige denn an unsere gemeinsame Zeit. Ich hatte nichts mehr von ihnen, außer meinen Fähigkeiten.

Je näher wir dem Vorhang kamen, desto hibbeliger wurde Rese neben mir.

»Ich hab gehört, dass dieses Jahr auch ein Novize der Liebe seine Seelenpartnerin sucht«, wisperte sie aufgeregt. »Es gibt diesmal keinen Novizen des Krieges. Gott sei Dank. Meiner Meinung nach sollten sie den Verrätern verbieten, an der Zeremonie teilzunehmen.«

Ich hörte ihr nicht wirklich zu. Die Vorurteile, die sie dem Orden entgegenbrachte, der einst Martia gedient hatte und es in Plutavien immer noch tat, interessierten mich nicht. Ich persönlich verachtete die Kriegsnovizen und -meister nicht dafür, dass sie existierten. Ich hasste nur ihre Arroganz – und woran sie mich erinnerten. Sie führten mir jedes Mal vor Augen, was ich verloren hatte. Denn sie waren noch immer hier – und meine Eltern waren es nicht.

Als die ersten Zeremonie-Teilnehmer durch den Vorhang in den dahinter liegenden Saal traten, den ich noch immer nicht erkennen konnte, beschleunigte sich mein Puls.

Ehrlicherweise war mir egal, wer mein Seelenpartner war und ob er Kräfte besaß. Es war mir nur wichtig, dass ich einen Partner hatte. Endlich jemanden, der mich bedingungslos liebte und auf meiner Seite war, egal, was passierte. Der mich verstand, mir Sicherheit und die Chance gab, einen Unterschied zu machen. Und durch den ich neue Macht bekommen würde, sobald unsere Schicksalsfäden sich verknüpften. Ich wollte Menschen helfen, den Krieg stoppen oder wenigstens weitere tausend Tode verhindern. Ohne Seelenverwandten wäre ich bedeutungslos – und ich
wartete bereits mein ganzes Leben lang darauf, mich nicht mehr so zu fühlen!

Als ich durch den Vorhang trat, strichen die Fäden warm über die paar Zentimeter nackter Haut, die weder von meinem Kleid noch meinen Handschuhen bedeckt wurden, und auf der anderen Seite erwartete mich ein Raum gefüllt mit Verheißung und Möglichkeiten. Der Boden war weiß, verziert mit einem Muster goldener Zacken und Kreise, und ein Knistern hing in der Luft. Es ging ebenso von den zwölf gigantischen Fackeln aus, die den riesigen Saal zusammen mit der orangefarbenen Glut der untergehenden Sonne erleuchteten, wie von den verschiedenen Kräften der Anwesenden
und denen der Götter selbst.

Moyra, die Göttin des Schicksals. Pazan, der Gott der Liebe. Sie saßen auf einer Empore, zu der eine breite Treppe aus Stein und Glas hinauf führte, und lächelten von ihrem kupfernen und goldenen Thron zu uns hinab.

»Bei meinem Schicksalsfaden …«, hauchte Rese und starrte mit offenem Mund zu ihnen hinauf.

Ich wusste genau, was sie meinte.

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