Boston Badgers, Sports & Romance: Skates & Sparks
Prolog
Liebesromane zu lesen, war ein bisschen, wie als Kind Briefe an den Weihnachtsmann zu schicken.
Alle klügeren, erwachseneren Menschen belächelten einen dafür. Man lernte völlig falsche Erwartungen an einen Mann, in diesem Fall an einen sehr bärtigen mit einer Vorliebe für die Farbe Rot. Man wurde mit Hoffnung auf etwas Wundervolles gefüttert, das sich letztendlich als dreiste Lüge herausstellte. Man wurde als naiv und als Träumerin abgestempelt.
Schlimmer, als Liebesromane zu lesen, war nur eines: Liebesromane zu schreiben.
Ich sprach da aus Erfahrung.
»Sie wollen einen Liebesroman über … Hockey schreiben? Der Puck verliebt sich in den Schläger, oder was?« Jackson LeBlanc, der Trainer der Boston Badgers, lächelte über seinen eigenen Witz.
Ich unterdrückte ein Seufzen und drehte meinen Plastikbecher ungeduldig in den Händen. »Über einen Hockeyspieler.«
»Welchen Hockeyspieler?«
»Einen fiktiven.«
»Aha.« Skeptisch lehnte er sich in seinem Bürostuhl zurück.
»Das ist gar nicht so merkwürdig. Es ist ein Trend momentan, könnte man behaupten.«
»Ja? Und Sie verdienen damit Geld?«
Wow. Sollte der Kerl als Kanadier nicht höflich sein? Ich verengte die Augen und nahm zur Beruhigung einen Schluck Eiskaffee. Er brachte erwachsenen Männern bei, mit einem Stock aufs Eis zu hauen, und fand meinen Job merkwürdig?
»Nein, ich lasse mich in Süßigkeiten bezahlen. Mehr brauche ich nicht zum Leben«, sagte ich knapp. Ich ließ unerwähnt, dass ich nur wegen des blöden Geldes überhaupt in Betracht zog, eine spicy Hockey Romance zu schreiben. Viele meiner derzeitigen finanziellen Mittel waren wegen des lächerlichen Gerichtsverfahrens eingefroren und rechtlich gesehen durfte ich nicht in meinem eigentlichen Genre, Regency Romance, schreiben. Also musste ich anstelle eines Dukes oder Viscounts jemand anderen verkuppeln und meine beste Freundin Serena hatte Hockeyspieler vorgeschlagen. Sie arbeitete als Sportagentin, ihre Gedanken hatten nicht allzu weit springen müssen.
»Es ist auch egal«, sagte ich laut. »Serena Laurent hat mir diesen Recherche-Termin verschafft. Ich soll mit Ihrem Torwart Tero Nieminen sprechen, sie meinte, er würde mir meine Fragen beantworten. Wissen Sie, wo er ist?«
»Goalie.«
»Was?«
»Es heißt Goalie, nicht Torwart«, brummte LeBlanc. »Aber schon gut. Ich musste nur sichergehen, dass Sie kein Groupie sind und Nieminen gleich bespringen wollen. Aber ein Groupie wüsste, dass es Goalie heißt.« Mein Unwissen schien ihn glücklich zu stimmen. »Er wartet unten am Eis auf Sie. Ist nicht zu übersehen.«
»Wunderbar.« Hastig stand ich auf.
»Ob das so wunderbar ist, weiß ich nicht. Das werden Sie dann sehen«, meinte er milde lächelnd. »Viel Glück.«
Irritiert verließ ich sein Büro und nahm die Stufen hinunter zum Eis, auf das der Trainer durch eine dicke Glasscheibe gute Sicht hatte. Der Betonklotz namens Adam Wilson Center, in dem die Boston Badgers trainierten und ihre Heimspiele austrugen, war von innen um einiges beeindruckender als von außen. In dem Betonklotz befand sich eine gigantische Arena, deren unzählige Tribünen und hohe Decke mir das Gefühl gaben, gleich an den Hunger Games teilnehmen zu müssen. Ich war noch nie hier gewesen, egal wie oft Serena versucht hatte, mich zu einem Spiel zu überreden. Doch ich fand Eishockey ungefähr so interessant wie ein Museum für hundert Anwendungsbereiche von Staub. Oder aber auch eine Diskussion über die Größe eines Automotors. Solange der Motor funktionierte, würde ich ihn nicht bodyshamen, danke.
Vielleicht war das hier eine blöde Idee gewesen. Vielleicht sollte ich mich doch in Boss-Romance oder Kleinstadt-Romance versuchen. Doch Serena hatte mich nicht ganz zu Unrecht daran erinnert, dass es meinem kreativen Prozess immer half, wenn ich mich aus meiner Komfortzone hinausbewegte – und ich war verzweifelt genug, es zu probieren.
Ich machte ein paar Fotos, falls ich mal ein Stadion beschreiben musste und das Internet ausfiel – aber größtenteils, um mich zu fühlen, als würde ich etwas Produktives tun –, nahm die letzten Stufen und betete zu den Schreibgöttern, dass Nieminen mir irgendetwas erzählte, das mich zu einer neuen Geschichte inspirierte. Mir kribbelte es in den Fingern, endlich Notizen zu machen und ein neues Projekt anzufangen, doch seit Wochen starrte ich nur auf mein leeres Dokument, unfähig, auch nur einen geraden Satz zu bilden.
Denn immer wieder stahl sich Randys verdammte Stimme in meinen Kopf und wisperte mir zu: Ohne mich bist du nichts, Nova. Ohne meine Ideen und meine Verbindungen ist deine Karriere wertlos.
Säure benetzte meine Zunge und ich zerquetschte vor Wut fast den To-go-Becher in meiner Hand. Gott, ich wollte dem Mistkerl beweisen, dass er unrecht hatte. Ich brauchte Inspiration, eine Idee, einen Charakter, eine Szene, einen Konflikt – ich brauchte irgendetwas, das mir aus dem verdammten Loch half, in dem ich mich seit einem halben Jahr verkroch und …
Abrupt blieb ich stehen.
Mein Herz sprang mir in den Hals und mein Magen schlingerte unkontrolliert hin- und her, während Hitze in meine Wangen strömte und sich hartnäckig dort festsetzte.
LeBlanc hatte recht gehabt. Tero Nieminen war nicht zu übersehen. Dafür war er schlichtweg zu groß und muskulös.
Oh, Shit. Er war definitiv kein Duke.
Mit den dunkelblonden Haaren, die sich über seine Ohren wellten, dem Vollbart und dem düsteren Blick sah er aus wie ein Wikinger, bereit, eine Stadt oder zumindest das Höschen einer glücklichen Gefangenen zu plündern.
Er trug weder Schlittschuhe noch die gigantische Hockeymontur, doch selbst in schlichter Jeans und schwarz-weißem T-Shirt mit dem Logo der Badgers – ein Dachs, der die Zähne fletschte – sah er aus, als könne er mich problemlos über die Schulter werfen und mit auf sein Schiff nehmen. Und ich war nicht leicht! Ich liebte Schokolade fast mehr als Bücher und mein Körper bestand darauf, das jedem zu zeigen. Während Nieminens Shirt kaum seinen Bizeps unter Kontrolle halten konnte, umschmeichelte mein weiter Kapuzenpullover mich wie ein Bettlaken einen Geist mit Keksproblem.
Jap. Der Kerl könnte problemlos einen Helden in einem Liebesroman spielen.
Aufregung und Adrenalin kribbelten durch meinen Körper und mein Atem beschleunigte sich. Vielleicht war Serenas Idee doch nicht so dumm gewesen. Vielleicht war dieses Interview die reinste Inspiration!
In dem Moment wandte Nieminen den Kopf und sein Blick aus eisblauen Augen traf meinen. Er kam ursprünglich aus Finnland, das hatte ich noch im Kopf. Shit, wenn alle finnischen Männer so aussahen, ihre Kiefer so kantig scharf, dass sie damit in ihrer Freizeit sicherlich Brot schnitten, wusste ich schon, wohin ich meinen nächsten Urlaub buchte.
»Hey«, sagte ich etwas atemlos – wegen der Treppen, wegen des Mannes, wer konnte das schon so genau sagen? – und reichte ihm die Hand. »Du musst Tero Nieminen sein. Vielen lieben Dank, dass du dir die Zeit für mich nimmst.« Ich lächelte freundlich. »Das hilft mir wirklich sehr. Ich bin Nova.«
Der Goalie schaute langsam an meinem Körper hinab und wieder hinauf, bevor er auf meiner Hand zum Ruhen kam – die er rigoros ignorierte. »Ah ja«, erwiderte er. Seine Stimme so dunkel und weich, dass sich meine Nackenhaare aufstellten. »Du diese Autorin.«
Er sprach mit schwerem Akzent, und obwohl ich als Mensch und Sprachenthusiastin ein vergessenes Verb nicht gutheißen konnte, behielt ich mein Lächeln auf dem Gesicht. Englisch war nicht seine Muttersprache und offenbar lebte er noch nicht lang in den USA. Obwohl er sicher schon Ende zwanzig war und Sportler doch meistens jung rekrutiert wurden … egal.
Ich ließ die Hand fallen und nahm einen nervösen Schluck von meinem Eiskaffee. »Ja, genau. Ich wollte dir ein paar Fragen zum Leben als professioneller Eishockeyspieler stellen. Wollen wir uns setzen?« Ich nickte zu der Tribüne zu meiner Rechten und wünschte, ich trüge einen Mantel. Draußen herrschten warme Frühlingstemperaturen, doch das Stadion war das reinste Kühlfach. Nieminen schien sich jedoch nicht daran zu stören. Von seinen sehnigen Unterarmen stachen nur Muskeln und Adern hervor, keine aufgerichteten Härchen.
Er ließ sich auf einen der Plastiksitze fallen und ich nahm direkt neben ihm Platz, bevor ich meinen Kaffeebecher auf den Boden stellte, mein Notizbuch aus meiner Handtasche – ich war zwar nicht altmodisch, was Sex in Büchern betraf, aber sehr wohl, wenn es um meinen Arbeitsvorgang ging – und den Kugelschreiber aus meinen Haaren zog, sodass sie auf meine Schultern fielen. Ich hatte einfach immer gern einen Stift griffbereit. »Also, sollen wir direkt anfangen?«
Nieminen schwieg.
Das wertete ich als Ja. »Meine erste Frage: Wie sieht so dein typischer Tagesablauf aus?«
»Aufstehen. Hockey spielen. Schlafen.«
»Ähm, ginge das vielleicht etwas detaillierter?«
Er runzelte die Stirn – und schwieg.
Oookay. Verstand er das Wort nicht oder wollte er nicht drüber reden? »Könntest du etwas … weiter ausholen?«, hakte ich vorsichtig nach.
»Ah.« Er nickte. »Aufstehen. Essen. Hockey spielen. Essen. Schlafen.«
Mit geöffneten Lippen starrte ich ihn an. Wie viele Schläger hatte er schon gegen den Kopf bekommen? »Gut«, fuhr ich dennoch fort, und schrieb die fragliche Notiz Hockeyspieler essen viel? in mein kleines Buch. Denn als professionelle Autorin würde ich mich nicht irritieren lassen. »Versuchen wir etwas anderes. Ich hab gehört, dass viele Spieler abergläubisch sind und während der Saison penibel genau ihren selbstauferlegten Regeln folgen, um kein Unglück heraufzubeschwören. Welche Traditionen wären das zum Beispiel bei dir?«
»Was abergläubisch?«
»Ähm …« Ich blies die Wangen auf und kratzte mich mit dem Stift am Nacken. »Na ja, wenn man abergläubisch ist, bedeutet das, man denkt, bestimmte Dinge oder Handlungen beeinflussen das Schicksal und führen Glück oder Unglück herbei.«
Seine Miene blieb verständnislos.
Oje. Wieso zur Hölle schickte Serena mich zu dem einzigen Spieler der NHL, der offenbar der englischen Sprache nicht mächtig war? Ja, er war heiß, das schadete meiner Inspiration nicht, aber ich hatte mir trotzdem ein paar Insiderinformationen erhofft. Stattdessen überlegte ich fieberhaft, mit welchem Beispiel ich das Wort Aberglaube untermalen könnte. »Also«, sagte ich schließlich. »Wenn man zum Beispiel eine schwarze Katze sieht …«
»Katze?«
Um Gottes willen, der Kerl musste doch das Wort Katze kennen! »Katze«, wiederholte ich, krümmte meine Finger zu Krallen und fauchte halbherzig, bevor ich ein einsames »Miau?« dahintersetzte.
»Ah.« Er nickte. »Flauschig.«
Er kannte flauschig, aber nicht Katze? Wer war sein Englisch-Lehrer – und konnte ich ihm eine schlechte Google-Bewertung schreiben?
»Katze also schlecht?«, folgerte er.
»Nein, nein. Nicht alle Katzen sind schlecht. Aber wenn einem eine schwarze Katze über den Weg läuft, dann …« Ich machte einen erschrockenen Gesichtsausdruck, legte eine Hand um meinen Hals und tat so, als würde ich verrecken. Mein Röcheln schmerzte in meinem Hals, aber was machte man nicht alles im Namen der Recherche!
Nieminen runzelte die Stirn … doch seine Mundwinkel zuckten.
Ich lehnte mich langsam zurück und musste den Kopf in den Nacken legen, um direkt in sein Gesicht sehen zu können. Machte er sich über mich lustig? Er wohnte doch seit etlichen Jahren hier und wusste nicht, was eine Katze war!
Ich beschloss, den Aberglauben zu ignorieren.
»Haben Hockeyspieler wirklich so viele Affären, wie ihnen angehängt wird? Seid ihr allesamt Womanizer?«
Jetzt wusste ich, dass er lächelte. Es war so klar, dass er das Wort Womanizer kannte. »Ja«, sagte er schlicht. »Frauen …« Er reckte beide Daumen in die Höhe.
Jetzt wusste ich auch, warum ihm das Wort Ja so vertraut war. Vermutlich stöhnten es viele der besagten Frauen in sein Ohr. Ich hatte das Bedürfnis, ihm für seinen letzten Kommentar den Mittelfinger zu zeigen, doch das könnte meiner Professionalität schaden, also entschied ich mich dagegen.
»Wie sieht es mit dem Gemeinschaftsgefühl aus?«, fragte ich weiter, meine Stimme eine Spur ungeduldiger. »Siehst du dein Team auch als deine Familie an oder … oder seid ihr nur Freunde, wenn ihr mit dem Ball auf dem Eis spielt, und sonst nicht?«
Tero Nieminens Gesicht nahm einen Ausdruck an, der selbst die nordischen Götter erschreckt hätte. Seine Brauen trafen aufeinander, seine hellblauen Augen funkelte, bevor er leise echote: »Ball? Du gesagt: Ball?«
Ich winkte ab. »Na, du weißt schon. Diese Scheibe. Wie heißt sie denn noch?«
»Puck?«, sagte er hart.
»Richtig.« Ich zog eine Grimasse. Das hatte ich gewusst! Es war mir nur kurz entfallen. Mein Kopf war mit lauter Begriffen aus der Regency-Mode und britischen Aristokratie gefüllt, da hatte ich einfach keinen Platz für Sport-Know-how. Wie gesagt: Ich schrieb nicht ganz freiwillig Sports Romance. »Du siehst, warum ich recherchieren muss, oder?«, meinte ich und lachte nervös.
Er starrte mich ungerührt an. Seine Miene düster. Als wäre er bei einem Vorsprechen für die Rolle als Teufel. Oder Serienkiller.
Also, entweder hatte er mich nicht verstanden oder er besaß keinen Humor. Ich tippte auf beides und räusperte mich vernehmlich. »Also: Das Mannschaftsgefühl. Gut?«
Nieminen nickte langsam. »Gut«, bestätigte er und reckte wieder die Daumen in die Höhe. »Wir fertig?«
»Fertig?«, fragte ich verdutzt. Wir hatten nicht einmal richtig angefangen!
»Cool.« Er stand auf, drehte sich um und verschwand im Tunnel hinter den Treppen.
Mit offenem Mund starrte ich ihm nach. Was zur Hölle?
Was stimmte nicht mit Serena, mich an diesen Hünen zu verweisen, der in etwa so informativ wie eine Spam-Nachricht gewesen war?
Genervt schob ich das Notizbuch zurück in meine Handtasche und fixierte meine Haare mit dem Stift auf meinem Kopf. Das war die reinste Zeitverschwendung gewesen!
Meine Vorfreude verpuffte. Er hatte mir keine Idee für einen Liebesroman gegeben – höchstens für einen Krimi!
»Scheiße«, flüsterte ich und kniff die Augen zusammen. Ich hatte es mir nicht eingestehen wollen, doch dieser Termin hatte mir Hoffnung gemacht, mein Schreibloch endlich zu überwinden. Stattdessen bekam ich das Gefühl, mich tiefer hineingegraben zu haben.
Seufzend stand ich auf und folgte Nieminen in den Tunnel, der auch zum Ausgang führte. Kurz machte ich noch bei der Toilette Halt, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen.
Ich straffte die Schultern. Es war noch nicht an der Zeit, aufzugeben. Irgendwo mussten doch noch andere Eishockeyhünen herumhängen, die hilfsbereiter und im besten Fall meiner Sprache mächtig waren!
Entschlossen stieß ich die Toilettentür auf und lief nach rechts anstatt zum Ausgang. Dem Geruch nach zu urteilen, konnten die Umkleiden nicht weit sein – und als hätte ich sie allein mit den Gedanken heraufbeschworen, erklang eine männliche Stimme hinter der nächsten Biegung.
»Was machst du noch hier, Nieminen?«
»Ach, Serena hat mir irgendeine Autorin auf den Hals gehetzt, die einen Recherchepartner für ihr Hobbyprojekt braucht.«
Wie angewurzelt blieb ich stehen und meine Kinnlade klappte hinunter. Wo zur verdammten Hölle war sein Akzent hin?!
»Eine Autorin?«, hakte der andere Mann nach.
»Ich bin mir nicht sicher. Kann mir vorstellen, dass sie Klatschreporterin ist und mir irgendwelche Skandale rausleiern wollte«, fuhr Tero fort. »Denn fuck, wenn sie wirklich Autorin ist und über Eishockey schreiben will, wird sie untergehen wie die Titanic …«
Wut ballte sich in meinem Bauch. Rote, heiße Wut, die meine Lunge versengte und den Becher in meiner Hand knistern ließ.
Er sprach Englisch. Er sprach akzentfrei Englisch! Shit, er sprach blumiger und besser Englisch als die meisten Leute im Internet!
»Sie hat den Puck Ball genannt, Nathan! Ball! Ich hätte heulen können. Wie dumm kann eine Autorin sein, dass sie über Hockey schreiben will und nicht einmal recherchiert, wie man unseren Ball nennt?«
In meinem Kopf brannte eine Synapse durch. Seine herablassende Stimme war zu viel für meinen Verstand. Die letzten Monate waren zu viel für meinen Verstand! Ich hatte die Schnauze von arroganten Männern so dermaßen voll – und im nächsten Moment setzte ich mich in Bewegung.
Nieminen stand neben einem großen, tätowierten Kerl mit dunklen Haaren und weitete überrascht die Augen, als er mich entdeckte. Ich gab ihm nicht die Möglichkeit, sich zu erklären. Ich zog den Deckel von meinem Becher und schüttete ihm den Eiskaffee mitten ins Gesicht.
Die Eiswürfel trafen zuerst seine Wangen und zersplitterten dann auf dem Boden, während sich das braune Gesöff in seinem Bart verfing, auf seine Schultern und seine Brust tropfte.
Ich war den Boston Badgers schrecklich dankbar dafür, Schwarz-Weiß als ihre Vereinsfarbe gewählt zu haben. Denn so hob sich das Getränk noch so viel deutlicher und hübscher von seinem Shirt ab!
Sein Teampartner sprang erschrocken nach hinten, doch Tero Nieminen blieb, wo er war. Mit verengten Augen funkelte er mich an. Gott, selbst mit Kaffee im Gesicht wirkte er noch einschüchternd. Doch es war mir scheißegal, dass ich ihm nicht einmal bis zur Schulter reichte und er mich vermutlich mit dem kleinen Finger bewegungsunfähig machen könnte. Meine Wut beflügelte mich.
»Was für eine Art von Arschloch bist du eigentlich?«, fuhr ich ihn zornig an.
Langsam verschränkte er die Arme vor dem Körper. Er schien sich nicht einmal ein bisschen dafür zu schämen, dass ich ihn beim Lügen erwischt hatte. »Die Art, die ihre Zeit nicht gern mit dämlichen Fragen einer Möchtegernautorin verschwendet, die über Eishockey schreiben will, aber einen Puck nicht von einem Fußball unterscheiden kann!«
Ach, auf das eine wurde draufgetreten, auf das andere draufgeschlagen. Lirum, larum! »Ich bin verdammt noch mal hier,um herauszufinden, wie man zwischen Eishockey und Fußball differenziert. Denn meiner Meinung nach passiert bei ihnen exakt dasselbe – Männer rennen rum, spucken und fluchen!«
Sein Teamkollege sog schockiert die Luft ein. »Entschuldige mal! Wir rennen nicht, wir gleiten auf unseren Kufen. Wie Engel, könnte man meinen.«
»Oh, halt die Klappe«, erwiderte ich zornig. »Engel tun nicht so, als sprächen sie kein Englisch, und zwingen eine unschuldige Liebesromanautorin dazu, Katzengeräusche zu machen.«
Der Spieler unterdrückte sichtlich ein Lächeln. »Alter, Nieminen. Hast du wieder mit deinem dummen Akzent gesprochen?«
»Er hilft, um nervige Leute loszuwerden«, flüsterte der Goalie gefährlich leise und beugte sich langsam zu mir herunter. »Übrigens: Deine pantomimischen Fähigkeiten sind scheiße.«
»Ach ja? Deine … deine … Du bist scheiße!«, erwiderte ich eloquent.
Er neigte interessiert den Kopf. »Du schreibst Bücher, sagst du? Du scheinst die englische Sprache nicht sonderlich gut zu beherrschen.«
Ungläubig riss ich die Augen auf. »Was ist dein verdammtes Problem? Ich hab dir nichts getan!« Noch nicht. Der Tag war noch lang.
»Mein Problem ist, dass du anscheinend deine Freundschaft zu Serena ausnutzt, um ein paar heiße Insider für was auch immer für eine Klatschkolumne zu bekommen. Ich hab deinen Namen gegoogelt. Du hast für etliche Boulevardseiten geschrieben.«
»Vor Jahren!Als ich mit dem Schreiben angefangen habe.«
»Ist mir scheißegal. Du bist nicht hier, um etwas zu lernen, sondern um Fotos zu machen und sie deinen Freunden auf Instagram zu zeigen. Und ich kann es nicht leiden, wenn Journalisten mir dämliche Fragen stellen, um meine Antworten dann zu zerhacken und neu zusammenzukleben und mich wie einen arroganten Idioten oder ein dämliches Arschloch hinzustellen.«
»Ich bin keine Journalistin, ich bin Autorin«, fauchte ich. »Das ist etwas völlig anderes. Ich schreibe seit Ewigkeiten nur noch Bücher, keine Artikel. Ich habe Fotos gemacht, um dieses Stadion besser beschreiben zu können. Und Herrgott, du brauchst mich nicht, um dich wie ein dämliches Arschloch hinzustellen, das schaffst du sehr gut allein!« Ich stieß mit den Schuhen gegen seine. »Aber danke für diese hilfreiche Unterrichtsstunde in Eishockey. Reiche Spieler sind anscheinend allesamt Mistkerle, die sich für was Besseres halten und lieber lügen und betrügen, anstatt in einer erwachsenen Unterhaltung ihre eigenen Unsicherheiten mit den Medien zu thematisieren. Das werde ich mir gleich notieren!«
Damit wirbelte ich auf dem Absatz herum und stapfte davon.
»Alter«, murmelte der andere. »Das war jetzt schlecht für unseren Ruf …«
Ich wartete nicht auf Tero Nieminens Antwort. Stattdessen warf ich den leeren Kaffeebecher in den Müll und zerrte mein Handy aus der Tasche
Meine beste Freundin hob ab, noch bevor die Tür zum Stadion hinter mir zufiel.
»Na, alles gut?«
»Alles gut?«, echote ich ungläubig. »Hättest du mir ein noch größeres Arschloch als Interviewpartner empfehlen können, Serena?«
»Was?«
»Tero Nieminen!«
»Was ist mit ihm? Er ist einer meiner nettesten und bodenständigsten Klienten.«
Oh Gott, wenn das stimmte, stand es schlimm um die gesamte NHL. »Er ist ein respektloser Vollidiot!«, rief ich und stapfte über den riesigen Parkplatz zu meinem hellblauen Ford. »Dieser Termin hat mir nicht geholfen, sondern mich nur daran erinnert, warum ich meine fiktiven Männer lieber in der Regency-Ära leben lasse – sie hatten damals noch Manieren!«
»Und haben Frauen ihre Rechte verwehrt«, erinnerte Serena mich.
»Ich hätte von dem verdammten Goalie trotzdem lieber einen Handkuss als eine schauspielerische Glanzleistung bekommen.«
»Eine was?«
»Ist doch egal! Gott, ich kann das nicht.« Ich schloss mein Auto auf und sank hinters Steuer. »Vielleicht sollte ich mir einen neuen Job suchen. Als Kellnerin anheuern.«
»Du lässt mehr Gläser als Plotstränge fallen, Süße.«
»Na und? Es ist zu schwierig, Contemporary Romance zu schreiben!«
»Ach, Quatsch. Du schreibst einfach Schwanz statt Gemächt.«
»Serena!«
»Was denn, ist doch so!«
»Nein! Ich kann nur Regency schreiben. Immer, wenn ich mir einen männlichen Helden ausdenke, ist er nicht greifbar. Ich will automatisch einen Gentleman schreiben, aber … wie unrealistisch ist das in unserer heutigen Zeit bitte?«
Serena lachte laut. »Du hast vorhin anscheinend den deiner Meinung nach unhöflichsten Hockeyspieler der Liga interviewt, aber ihm liegen die Frauen trotzdem zu Füßen. Er ist genau der Typ Mann, den du suchst. Ein heißes Arschloch eben. Das ist, woraus Bookboyfriends gemacht sind.«
»Meine sind es nicht.«
»Na, dann lass ihn eben nur auftreten wie ein Arschloch, aber in Wirklichkeit hat er ein Herz aus Gold. Du wolltest zum Recherchieren ins Stadion – du hast einen waschechten professionellen Hockeyspieler getroffen. Mach was damit! Lass ihn ein Arschloch, aber fantastisch im Bett sein. Das Erste verzeiht man Buchmännern. Wenn er in der Kiste nichts taugt, wäre das schlimmer.«
»Serena …«
»Du machst dir zu viel Druck«, bestimmte sie. »Du kannst nicht über einen Gentleman schreiben? Dann schreib über das Gegenteil. Nova, du hast seit Randy doch ohnehin die Nase voll von Männern. Kanalisiere deine Wut und schreib die Männer so, wie keine Frau sie mögen sollte … und dann beweis ihnen, dass er dennoch liebenswert sein kann! Das ist deine Spezialität. Deine Dukes sind immer heiß und höflich, aber ich will sie trotzdem die halbe Geschichte lang gegen die Wand klatschen, bis sie dann endlich durch die Liebe der Heldin geheilt werden. Gib mir genau dieses Gefühl, okay? Ich helfe dir mit dem Hockeykram, aber muss jetzt wirklich zur Arbeit. Und hör auf, dir Druck zu machen. Hab Spaß beim Schreiben. Das hattest du schon ewig nicht mehr. Lieb dich, du bist meine Heldin!« Schon legte sie auf.
Stöhnend schlug ich meinen Kopf gegen die Stütze hinter mir und ließ das Handy sinken.
Dann googelte ich Tero Nieminen. Das hätte ich zugegeben vor unserem Interview tun soll, aber meine kreativen Säfte flossen mit Überraschung besser.
Ein Video von den Boston Badgers ploppte auf. Die Mannschaft strömte vor dem Spiel aufs Feld und ihr finnischer Goalie stand direkt am Eingang des Eises … wo jeder seiner Kollegen ihm einen Klaps auf den Helm gab, während er sie anschrie.
Ich verdrehte die Augen. Gott, er war ein dämlicher Neandertaler-Macho ohne Manieren und ohne einen einzigen höflichen Knochen in seinem Körper, dem Dominanz wichtiger war als Freundlichkeit, oder? Er war ein Alphamännchen, wie es im Buche stand – und liebe Güte, es stand oft im Buche.
Das Video lief weiter und zeigte die Highlights des Spiels. Bei vielen davon legte Tero laut Untertitel irgendwelche Paraden hin, auch wenn es für mich aussah, als würde er einen Aerobic-Kurs leiten.
Shit, der Kerl konnte einen Spagat!
Mein Nacken kribbelte. Nun, das konnte man benutzen. Überhaupt war sein Gesichtsausdruck immer ziemlich grumpy und ich hatte gerade am eigenen Leib erfahren, was für einen fantastischen Enemy er abgeben würde … die Tropes fielen also wie von allein an ihren Platz.
Gott, er könnte einer Protagonistin das Leben zur Hölle machen … und die Protagonistin würde den Gefallen erwidern.
Ein Flattern setzte in meiner Brust ein, denn Serena hatte recht. Ich war zurzeit nicht gut auf Männer zu sprechen – und es würde so viel Spaß machen, mit den Arschlöchern abzurechnen, die in den letzten Jahren mein Leben gepflastert hatten.
Nervös und mit vor Aufregung zitternden Fingern zog ich mein Notizbuch aus der Tasche und den Stift aus meinen Haaren und schrieb auf, wie ich mir vorstellte, wie ein Mann wie Tero Nieminen sein Leben führte und was zur Hölle passieren musste, damit er doch noch ein halbwegs anständiger Mensch wurde. Was geschehen musste, damit eine toughe, unschuldige Heldin sich doch noch in ihn verliebte. Aber bis das passierte … Oh, ich würde ihn quälen.
Nur in meinem Kopf natürlich. Aber das erschien mir gerade gut genug. Eine Seite nach der anderen. Ich musste nur aufpassen, dass niemand herausfand, wer mich zu meinem Neandertaler-Charakter inspiriert hatte. Aber das würde schon funktionieren.
Keiner musste es wissen!
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